Sebastiands römische Anfänge.
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üppigen, sinnlichen Schönheit, die sich mit vornehmer Anmuth ver-
mählt, Köpfe von der breiten, goldlockigen Fülle und dem offenen,
naiven Ausdruck, wie wir ihn aus den F rauenköpfen Palma Vecchio's
kennen. Dabei ist das herrlich leuchtende Kolorit des Bildes von jener
ernsten Pracht und tiefen Gluth, wie man sie von Giorgionr-fs Meister-
werken erwartet. Das Bild mag um 1510 entstanden sein und durfte
ohne Zweifel seinem Urheber, wenn er auf diesem Wege fortschritt,
eine glänzende Zukunft in Aussicht stellen. Aber Sebastian scheint
nicht der Mann gewesen zu sein, welchem ein angespanntes, mühe-
volles Ringen neben Meistern wie Tizian und Palma Vecchio genehm
war. Als daher Agostino Chigi, der reiche römische Bankherr, der
auf seinen Geschäftsreisen in Venedig Sebastian kennen gelernt hatte,
denselben aufforderte, nach Rom zu kommen und dort für ihn zu
arbeiten, folgte er gern diesem Ruf. In Rom wurde ihm der Auftrag,
sich an der Ausschmückung der Villa Farnesina zu betheiligen.
Die Zumuthung, mit Meistern wie Pcruzzi und den Schülern RafaePs
in der Freskotechnik zu wetteifern, war gewiss seltsam. Das Er-
gebniss waren die Lünettenbilder in dem von Peruzzi selbst aus-
gemalten Saale des Erdgeschosses, wo Sebastian acht Scenen aus Ovid's
Metamorphosen darzustellen hatte. Man erkennt hier in der Farben-
behandlung noch den Venezianer, in der Forniengebung aber die An-
lehnung an Michelangelo. Dieser zeichnete dann selbst, bei einem Besuche
in der Villa, in der neunten Lünette auf den Bewurf den colossalen
Kopf, den man als willkommenes Autograph des grossen Meisters un-
angetastet liess. Dass in der That ein nahes Verhaltniss zwischen
beiden sich bildete, ist unverkennbar, obwohl man schwer irrt, wenn
man mit Cr. und Cav. dafür eine innere Uebereinstimmung zwischen
beiden Künstlern annimmt. Denn gewiss ist nichtsweniger begründet
als das Ürtheil, dass nbeide Künstler ehrgeizig, beide Realisten Und
Liebhaber der Natur gewesen seien la Man kann vielmehr keine grösseren
Gegensätze denken, als den erhabenen Idealismus Michelangelds und
den gefälligen Realismus Sebastians, das Naturgefühl des Venezianers
und das völlig verschieden geartete lllichelangelds, der nie einen land-
schaftlichen Hintergrund gezeichnet und nie ein Porträt ausgeführt hat;
und wenn beide ehrgeizig waren, so setzte sich Michelangelds
Ehrgeiz die höchsten künstlerischen Ziele, während Sebastianiß lliederes
Streben nur auf Erlangung einer bequemen Pfründe ging. Durch
Vasari ist ausserdem berichtet, dass Michelangelo, um Rafael in der
Malerei einen Nebenbuhler zu setzen, Sebastian mit seinen Zeichnungen
Lübke, Italien. Malerei. II. IQ