Handzeichnungen Michelangelds.
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lose Blätter mit Unrecht ihm zugeschrieben werden. Vieles trägt
deutlich die Merkmale der Nachahmer, welche nach seinen Werken
studirten, und gerade aus der grossen Anzahl solcher Blätter erkennt
man den gewaltigen Einfluss, welchen der Meister auf seine Zeitge-
nossen iibte. Um aus der Masse des Untergeschohenen dieser Gattung
nur Einzelnes hervorzuheben, bezeichnen wir z. B. im Museum zu
Weimar mehreres aus der Decke der Sixtina (Br.107, 108, 109, 113,
2114), in der Albertina ähnliche Nachahmungen (Br. 45, 46, 47) u. s. w.
Immerhin bleibt noch eine gute Anzahl ächter Zeichnungen, in deren
Besitz sich die Sammlungen der Uffizien und des Louvre, sodann die
Akademie zu Venedig, die Windsor-Galerie, die Albertina zuWien
und die Ambrosiana zu Mailand theilen. Den grössten Schatz an Hand-
zeichnungen des Meisters besitzt die Universität zu Oxford, und über
diese hat Robinson eine überaus wichtige kritische Arbeit veröffentlicht.
Unter diesen verdienen namentlich einige Studienblätter für das Grab-
mal Julius 11., sowie für die Decke der sixtinischen Kapelle besondere
Beachtung. Auch die Skizzen für die Medicaergraber sowie für einzelne
Theile des Jüngsten Gerichts gehören dahin. Der gesaminte Charakter
der Zeichnungen Michelangelds unterscheidet sich diametral von denen
Lionardds. Während dieser meistens die Natur selbst vor Augen hat
und ihre Erscheinungen mit höchster Sorgfalt und unübertrotfener
Feinheit wiedergiebt, so dass mit den manniehfaltigsten Mitteln, in
Kreide oder Kohle, mit der Feder oder dem Stift, meist auf farbigem
Papier ein hoher malerischer Reiz erreicht wird, beschränkt sich
Michelangelo meist auf die einfachste Federzeichnung in Tusche auf
weissem_Papier. Ohne eine malerische Wirkung zu erstreben, will er
nur in einer meist flüchtig aber um so geistvoller stenographirten
Form die ihm auftauchenden Ideen mit wenigen Strichen festhalten.
Doch giebt es eine Anzahl von Zeichnungen, meist in Rothstift, aus
Michelangelds Jugend, in welcher sich der Einfluss Lionardds unver-
kennbar ausspricht. Es sind zumeist Studien zu Köpfen, die in der
scharfen charakteristischen Auffassung wie in der zart verschmolzenen
modellirenden Behandlung an jenen grossen Meister anknüpfen und
der Zeit angehören werden , da derselbe von Mailand zurückkehrte
und die üorentinische Kunstwelt durch den Glanz seines Namens und
die hohe Vollendung seiner Arbeiten in Aufregung setzte. Solcher
Blätter besitzt namentlich die Sammlung zu Oxford eine ziemliche
Anzahl; auf einem Blatte (Br. 75) findet man nicht weniger als elf
Studienköpfe vereinigt. Dennoch zeigt sich, im Gegensatze zu der