Charakter.
Michelangelds
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durchbrach auch, wenn seine edelsten Interessen verletzt oder sein
Künstlerstolz gereizt wurde, ein leidenschaftlicher Zorn die Schranken
des Herkommens: aber eben so schnell war seine ehrliche Natur durch
Offenheit wieder versöhnt, und in den späteren Jahren dämpften die
ernsteren Lebenserfahrungen das leidenschaftliche Üngestüm. Dass er
in seinen jüngeren Jahren durch masslosen Ehrgeiz nicht selten Andere
verletzte, lasst sich nicht leugnen. Sein Benehmen gegen den hoch-
verdienten älteren Lionardo, seine rauhen Aeusserungen gegen Perugino,
seine Geringschätzung des trefflichen Francia, seine Ünfreundlichkeit,
wenn nicht gar Feindseligkeit gegen Rafael sind Zeugen davon. Als
Lionardo und Rafael gestorben waren, und er sich in seiner Grösse als
unbestrittener Alleinherrscher im Reich der Künste sah, mag es ihm
leicht geworden sein, milder und versöhnlieher zu werden. Aber seine
einsame Stellung machte ihn nun um so reizbarer und misstrauischer.
Ueberall witterte er Verrath und Untreue; selbst die bestgemeinten
Rathschlüge der Seinigen konnten seine Galle erregen, und so mag er
als ein unnahbarer, argwöhnischer Sonderling erschienen sein. Doch
waren seine Thaten milder als seine Worte; er war überall gern bereit,
zu helfen, namentlich aber setzte er seinen Ehrgeiz darein, seine Fa-
milie, deren vornehme Abstammung ihm sehr am Herzen lag, wieder
zu Glanz und Ansehen zu bringen. Rührend ist das unablassige Mühen
für die Seinigen und die fast zärtliche Sorgfalt für seinen Neffen
Lionardo, auf Welchem seine Hoffnung für die Zukunft des Hauses
Buonarroti beruhte.
Was man in Galerieen an Tafelbildern Michelangelds zeigt,
ist ohne Ausnahme untergeschoben. Dies gilt namentlich auch von
dem Gemälde der Parzen in der Galerie P itti ,-einer trockenen und
geistlosen Arbeit, vielleicht des Rosso de' Rossi, welche wir nicht
einmal auf einen Entwurf Michelangelds zurückführen möchten. Da-
gegen liegen manchen andern Tafelbildern seiner Schüler und Nach-
f0lger gewiss Zeichnungen des Meisters zu Grunde. So kommt mehr-
mals die Darstellung des vom Adler des ZGIIS entführten Ganymed
vor, zu welchem die geistreiche mit der Kohle ausgeführte Skizze
unter Lionardds Namen sich im Louvre (Br. 183) befindet. S0 auch
eine Leda mit dem Schwane, von der es ebenfalls mehrere Wieder-
holungen giebt. Das von Alichelangelo selbst 1530 für den Herzog
von Ferrara ausgeführte Original, welches der Meister im Zorn über
eine taktlose Bemerkung des herzoglichen Geschäftsträgers diesem
entzog und nebst andern Kunstwerken seinem Diener Antonio Mini