hlichelangelds
Ch arak ter.
133
er bei klarem Bewusstsein sein Testament, das aus wenigen Worten
bestand. Es lautete: „Ich vermache Gott meine Seele, der Erde den
Leib, mein Vermögen den Verwandten." Ruhig und gefasst starb er
am 17. Februar, im fast vollendeten neunundachtzigsten Jahre. Sein
Tod versetzte Rom in Aufregung; heimlich nur vermochte sein Neffe
den Leichnam nach Florenz zu bringen. Nach seinem Wunsche fand
er sein Grab in heimischer Erde. In Santa Croce, wo so viele edle
Florentiner ruhen, erhebt sich das Grabmal des grossen Mannes.
Werfen wir einen Blick auf den Lebensgang Michelangelds zurück,
So ist es ein Gefühl der Ehrfurcht, das uns ergreift. Wie ein Drama,
voll tiefer innerer Bewegung, so entwickelt sich dies merkwürdige
Künstlerleben. Mehrere Generationen von Künstlern gingen an ihm
vorüber. Nächst Lionardo war Michelangelo der erste, welcher in die
grosse, reif entfaltete Kunst des 16. Jahrhunderts hinüberleitete. Ueber
ein halbes Jahrhundert stand er als einflussreichster Führer an der
Spitze des Schaffens. Nie hat ein Meister so durchgreifend auf den
Gebieten der drei verschwisterten Künste die unumschränkte Herr-
schaft ausgeübt. In der Architektur wie in der Sculptur und Malerei
hat er Meisterwerke ersten Ranges geschaffen und Schöpfungen hin-
gestellt, die zu übertreffen nichfmöglich War. Sein Streben ging stets
nach dem Höchsten; er stellte sich nur die erhabensten, kühnsten Auf-
gaben. In der Lösung derselben bewährt sich eine Grossartigkeit der
Auffassung, eine Sicherheit der Durchführung, eine Freiheit der Ge-
staltung, die über alles Frühere weit hinausgeht. An Macht der
Phantasie, an Reichthum, Tiefe und gewaltigem Schwung der Gedanken
übertrifft ihn Keiner. Damit verbindet er aber eine Kenntniss alles
zur Ausführung Erforderlichen, die ihn überall befähigte, dem Gedanken
auch die vollendetste Form zu geben. Seine gründliche Wissenschaft
der Anatomie, seine überraschende Aneignung der Freskotechnik, seine
Meisterschaft in der Marmorbehandlung, endlich die vollständige Be-
herrschung der Architektur mit allen ihren Hülfswissenschaften stehen
in diesem universalen Geiste auf gleicher Höhe. In seinen jungen
Jahren beseelt seine Werke bisweilen, wie in der Pieta, eine zarte,
rührende Innigkeit der Empfindung. Als er älter und ernster wurde,
ging die Anmuth in eine herbe, spröde Grossheit des Stiles über, die
nicht Selten auf den ersten Anblick etwas Abstossendes, Gewaltsames
hat. In dem rastlosen Streben, Unfassbares oft dem Steine abzutrotzen,
verlor er sich zu gezwungenen Stellungen, unschönen Formen und zu
Bewegungen, welche die Grenze des Möglichen überschreiten. Aber