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LIVIJEASJMI
ausgezeichnetsten Geistern der Nation nach einer Erneuerung des
religiösen Lebens hindrangte. Michelangelo, der schon in seiner Jugend
von der sittlichen Strenge eines Savonarola sich angezogen fühlte, und
den die schmerzlichen Enttäuschungen seines Lebens noch mehr zur
Verinnerlichung, zur Abkehr vom Sinnlichen und Irdischen getrieben
hatten, kam im Geleit seiner Freundin immer mehr zu einer tiefen Re-
ligiosität. So weit geht er nicht selten in der Strenge gegen sich
selbst, dass er sogar die künstlerischen Ideale seiner Mannesjahre ver-
wirft und seine einzige Hoffnung auf den Erlöser setzt, wie er in einer
Anzahl tief empfundener Gedichte zu erkennen giebt. Als ihm der
Tod seinen treuen Diener Urbino raubte, sprach er in einem Briefe
an Vasari diese Stimmung in ergreifender Weise aus: „Gott hat mir
grosse Gnade an ihm verliehen, aber mit unendlichem Schmerz. Die
Gnade besteht darin, dass er, so lange er am Leben, mich am Leben
erhielt, und sterbend mich sterben gelehrt hat, nicht mit Unlust, so'n-
dern mit Sehnsucht nach dem Tode. Mein einziger Trost ist, ihn im
Paradiese wiederzusehen. Und dafür hat Gott mir ein Zeichen ge-
geben durch seinen seligen Tod; denn mehr als der Tod hat ihn der
Gedanke geschmerzt, dass er mich zurücklasst in dieser trügerischen
Welt, mit ihren Mühsalen, obwohl der grösste Theil von mir dahin
und mir nichts mehr geblieben ist als unendliches Elend."
Mit seiner Thatigkeit als Maler und Bildhauer hatte Michelangelo
abgeschlossen; aber das Geschick dieses ausserordentlichen Mannes
wollte, dass er in den letzten Dezennien seines Lebens noch als
Architekt nicht minder Bewundernswerthes schaffen sollte. S0 über-
mächtig war die Grösse seines Genius, dass auch bei hervorragenden
Bauten sein Ürtheil und seine scliöpferischenIdeen als massgebend
angerufen wurden. Nachdem in Florenz die Facade für S. Lorenzo
nicht zu Stande gekommen war, gab es dagegen in Rom Gelegen-
heiten genug, um seine Kraft zu erproben. Paul III. hatte noch als
Kardinal durch Antonio da S. Gallo, einen heftigen Nebenbuhler
Michelangelds, den gewaltigen Palazzo Farnese erbauen lassen. Nach
Antonios Tode, 1546, wurde Michelangelo mit der Vollendung des
Werkes betraut. Dieser gab dem Baue das herrliche Kranzgesims
und vollendete die grandiosen Arkaden des Hofes, sowie die gewaltige
Loggia gegen den Fluss. Noch riesenhafter war Michelangelds Idee,
einen zweiten Hof anzubauen, die neu aufgefundene Marmorgruppe des
farnesischen Stieres als Brunnen in dessen Mitte zu setzen, eine Brücke
über den Tiber zu schlagen und den Palast mit der auf dem andern
Lübke, Italien. Malerei. II. 9