128
Buch.
Kapitel.
Buonarroti
Michelangelo
Dein Wille, hohe Frau, ist auch der meine,
Aus Deinem Herzen sprosset mein Empfinden,
Aus Deinem Geiste meine Worte stammen.
Dem Monde gleich ich, arm an eignem Scheine,
Den unsre Augen nie am Himmel finden,
Strahlt Sonne ihn nicht an mit ihren Flammen.
Irminnigsten Austausch währte der geistige Verkehr dieser edlcn
Menschen bis an den Tod Vittoria's, zehn Jahre ununterbrochen fort.
Vittoria liebte besonders die religiöse Kunst; stundenlang brachte sie
in der Werkstatt des Meisters zu, der ihr seine Entwürfe, Zeichnungen
und Bildwerke mittheilte, und für sie selbst einen Crilciüxils arbeitete.
Von dem tiefen geistigen Gehalt ihrer Unterredungen ist uns ein merk-
würdiges Dokument überliefert durch den Bericht eines portugiesischen
Künstlers Francesco d'Ollanda, der 1538 nach Rom kam und dort
mehrere Jahre seiner künstlerischen Ausbildung lebte. Sein noch vor-
handenes 1548 Vollendetes Manuscript schildert in lebendigen Zügen
den hochidealen Charakter jenes Verkehrs, in welchem Michelangelo
in seiner unbestrittenen Grösse den Mittelpunkt bildet. Zahlreiche
Gedichte Michelangelds sind der treue Ausdruck jenes Seelenbundes.
Edler aber konnte die heilige Zartheit seiner Empfindung sich nicht
aussprechen, als da er gegen seinen vertrauten Schüler Ürbino aus-
serte, nichts schmerze ihn mehr, als dass er, als Vittoria auf dem
Sterbebette gelegen, ihr nur die Hand und nicht auch Stirne oder
Antlitz geküsst habe. Als sie starb, löste sich für ihn das stärkste
Band, welches ihn noch mit dem Leben verknüpfte. In einer Reihe
ergreifender Gedichte spricht er seinen Schmerz über ihr Hinscheiden
O wär" ich doch von dieser Welt geschieden,
Als Phöbus noch beglänzte meine Bahn,
Als mir vergönnt zu schweben himmelan,
Mit seiner Federn Kraft, dann hätt" ich Frieden.
Ach meine Sonne schwand! Wenn mir hienieden
Viel lichte Tage einst versprach mein Wahn,
So fasst nun Angst, ob Zeit mir bleibt, mich an,
0b offen noch das Himmelsthor dem Müden.
Tief eindringend war die Umwandlung, welche durch Vittoriajs
Einfluss in seiner Seele vor sich ging. Die Religiosität der edlen Frau
beruhte auf jener innerlichen Empfindung, welche durch die Strömung
der Reformation auch in Italien damals Eingang gewann und in den