Sixtina
Jüngstes
Gericht.
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von Heiligen und Seligen, welche bei Giotto, Orcagna, Fiesole um
die erhabene Gestalt einen Nimbus von himmlischer Herrlichkeit bilden;
vergebens die strahlende Seligkeit der Auserwählten, welche zu den
Schrecknissen der Verdammten einen tröstenden Gegensatz bilden.
Hier ist Alles in wilder Aufregung, und die heranstürmenden dichten
Massen athletischer Gestalten scheinen eher die Giganten der antiken
Sage, die den Olymp erstürmen wollen. Mehr als irgendwo finden
wir hier jenes Dämonisch-Üngeheure, jenes nterribile", das schon die
Zeitgenossen an Michelangelo bewunderten. In seiner verhängnissvollen,
immer gewaltsamer sich vordritngenden Neigung zur Entfesselung einer
ungebändigten Cllhatkraft giebt der Meister hier ein ungeheures Gewoge
nackter Körper, in denen der Ausdruck physischen Handelns fast aus-
schliesslich zur Geltung kommt und die Schilderung des Seelenlebens
unterdrückt. Mit einer Meisterschaft, die jedes Vergleiches spottet,
sind diese unabsehbaren Massen aufschwebender, niederstürzender, heran-
stürmender Körper in allen erdenklichen Stellungen und den kühnsten
Verkürzungen hingestellt. In künstlerischer Hinsicht ist das Bild ohne
Frage eins der grössten Wunderwerke der Welt; aber das innere
geistige Leben ist bei der einseitigen Entfesselung des physischen zu
kurz gekommen. Die dämonische Silbjectivitat des Meisters erwies
sich mehr als je verhängnissvoll.
Vom rein künstlerischen Gesichtspunkte wird trotzdem diese
Schöpfung ewig bewundernswerth bleiben. Schon die Gliederung und
Eintheilung der ungeheuren Bildfläche zeigt den grossen Meister. In
der oberen Hälfte des Bildes sieht man in der Mitte eine nackte männ-
liche Gestalt, die wie eine Mischung von Apoll "und Herkules erscheint.
Es ist Christus, der mit heftiger Geberde des Abweisens den Verwer-
fenen sein „Weichet von mir, ihr Verdammte" zuschleudert. S0 jäh-
lings bricht diese zornige Bewegung hervor, dass selbst Maria wie
verschüchtert zur Seite ihres Sohnes zusammenfahrt, und dass rings
der Kreis der Apostel fast drohend herandrängt, die Zeichen ihres
Marterthums vorweisend, als wollten sie dadurch zu unbarmherziger
Rache auffordern. Da sieht man rechts die herkulische Gestalt des
Petrus, der seine Schlüssel vorweist, während unter ihm Bartholomaus
das Messer schwingt und in der Linken sogar die Haut, die man ihm
abgezogen, herbeibringt. Gegenüber sieht man von der Rückseite
Andreas mit seinem Kreuze, und neben ihm die nicht minder athle-
tische Gestalt des Adam, dessen Schultern ein Thierfell bedeckt; weiter
unten Laurentius, der sich mit seinem Roste schleppt. Hier ist nur