Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

Buch. 
Kapitel. 
Michelan ge 
Buonarroti 
und den Lieblingsplan seiner Jugend. Nach solchen Erlebnissen können 
wir den tiefen Grram, die düstere Resignation seiner späteren Jahre, 
wie sie sich in so vielen seiner Gedichte aussprechen, wohl verstehen. 
Um dieselbe Zeit (1534) starb zweiundneunzigjährig sein Vater. Der 
alte Lodovieo hatte den berühmten Sohn sein lebenlang reichlich ge- 
plagt und gequält; aber in unerschütterlicher Pietät hing dieser an der 
ehrwürdigen Gestalt des Vaters, wie Wir aus den gramvollen Terzinen 
erkennen, die er seinem Tode weihte und von denen wir hier eine 
Probe geben: 
Des Tbdten Jahre mindern unsre Klagen, 
Wir lassen leichter über uns ergehen, 
Was unabwendbar ist, wir müsselfs tragen. 
Und doch, wer trüg' es kalt, nie mehr zu sehen 
Den lieben Vater, den wir in so vielen, 
UnzähVgen Tagen kommen salfn und gehen! 
Ihr sagt, unweise sei's im Schmerz zu wühlen, 
Doch wisst! gross oder klein sind Gram und Freuden 
Nur in dem Maass als fähig wir zu fühlen. 
Welch Maass mir ward, das kann nur Gott entschei 
Und zwing" den Schmerz zurück ich in die Kehle, 
Dann brechen nur noch heffger aus die Leiden. 
Durch ein Breve vom 1. September 1.535 wurde er zum obersten 
Architekten, Bildhauer und Maler des vatikanischen Palastes ernannt 
und ihm für das bereits begonnene Gemälde des Jüngsten Gerichts 
eine Jahresrente von 1200 Goldscudi auf Lebenszeit verliehen. Die 
an der Altarwand vorhandenen älteren Gemälde wurden zerstört, um 
diesem Riesenbilde Platz zu machen. Als dasselbe am Weihnachtstage 
1541 enthüllt wurde, strömte, wie dreissig Jahre früher bei der Decke, 
ganz Rom herbei, um das Werk zu bewundern, in Welchem nach der 
Ansicht der Zeitgenossen der Meister sich selbst übertroffen hatte. 
In einer Höhe von sechzig und einer Breite von vierzig Fuss 
bedeckt dies kolossalste F reskobild der Welt die Altarwand der Ka- 
pelle. Nach oben findet es in den beiden Schildbögen der YVand seinen 
Abschluss. Michelangelo hat hier noch entschiedener als in seinen 
früheren Werken mit aller Tradition gebrochen. Vergeblich würde 
man hier die ruhige Feierlichkeit des auf WVolken erscheinenden Welt- 
richters der früheren Kunst suchen, vergeblich den weihevollen Reigen
	        
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