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Buch.
Kapitel
Michelangelo
Buonarroti.
würden. Diese höchste Gewissenhaftigkeit, die nur sich selbst genügen
will, erkennen wir auch an der sixtinischen Decke. Ünd dazu kommt
eine Harmonie der Farbenwirkung, die um so höher anzuschlagen ist,
als Michelangelo der Freskotechnik nicht gewohnt War, und in den
Briefen an die Seinigen darüber schmerzlich Klage führt. Die vor-
züglichen Braun'schen Photographien gewähren die beste Gelegenheit,
den unerschöpflichen Reiz dieser Werke bis in's Einzelne zu ver-
folgen.
So erhob denn Michelangelo in diesem Riesenwerk die Kunst,
die zu sehr in der bunten Mannichfaltigkeit des Lebens sich verloren
hatte, zum Ausdrucksmittel für die höchsten Ideen, verbildlichte in ihr
mit wenigen grossen Zügen in einer Formenwelt, die den Kreis ge-
wöhnlicher Wirklichkeit Weit überragt, die erhabensten Anschauungen
der damaligen Menschheit. Seine Gestalten verzichten auf das Ge-
präge des individuell Charakteristischen und erheben sich durch Macht
des Ausdrucks und Grösse der Bildung zum mächtig Typischen von
Gattungswesen. Innerlich durch dies Streben der antiken Kunst ver-
wandt, erfüllt er diese Formen jedoch mit dem Stempel einer geistigen
Hoheit, die lediglich der AusHuss seiner eigenen erhabenen Ge-
sinnung ist.
Julius II. hatte die Freude, das grosse Werk noch vollendet zu
sehen. Als er am 21. Februar 1513 starb und Leo X. ihm folgte,
brachen für den Künstler ungünstige Zeiten an. Mit Julius 11., der
in seinem hochsinnigen Charakter und leidenschaftlich reizbaren Naturell
viele Aehnlichkeit mit Michelangelo zeigte, hatte es zwar manche
Kämpfe gegeben, aber die beiden gewaltigen Naturen verstanden sich
immer wieder und söhnten sich bald aus. Unter dem weichlichen
Mediceer, der auf jenen folgte, bildete sich das höfische Leben im
Vatikan immer mehr aus und in dieses passte eine Natur wie die
Michelangelds nicht. Ausserdem gönnte Leo X. seinem Vorgänger
nicht die Verherrlichung durch Michelangelds Kunst und suchte die
Ausführung des Grabmals in jeder Weise zu verhindern. Der Künstler
musste Entwürfe und ein Modell für die Facade von S. Lorenzoi zu
Florenz machen, die doch niemals ausgeführt werden sollte. Mehrere
Jahre hatte er sich wieder mit Steinbrechern, Werkleuten und Behörden
zu plagen, um endlich zu erleben, dass auch dies grossartig geplante
Werk, das er zu einem vspiegel der Architektur" zu erheben gedachte,
zu den Todten gelegt wurde. Schwer lastete auf Michelangelo dieser
Druck; einsamer und ernster stand er da und rang unablässig mit