Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 2)

Decke 
Sixtina. 
Die 
vier 
Eckzwicklel. 
115 
sammenfährt, da diese ihn als den Feind ihres Volkes bezeichnet. 
Charakteristisch genug unterstützt sie ihre vernichtenden Worte nicht 
durch einen dramatischen Gestus, sondern mit einer fast liebenswürdigen 
Handbewegung, die einem königlichen Salon alle Ehre macht. Rechts 
dagegen sieht man den König auf seinem Lager von Höflingen um- 
geben, deren einer ihm aus den Chroniken von den Verdiensten Mar- 
dochai's vorgelesen hat. Sofort spricht Ahasver seinen Befehl aus, und 
schon sieht man einen Diener hinabsteigen, um den am Fusse der Treppe 
sitzenden Mardochai zu berufen. Alles ist hier mit den knappsten 
Mitteln in höchster Prägnanz und Lebendigkeit ausgedrückt. Eine- 
ähnliche Eintheilung sehen wir in dem dritten dieser Bilder links über 
der Eingangswand. Judith hat eben das abgeschlagene Haupt des 
Holofernes einer Dienerin gegeben, die es in einer Schüssel auf dem 
Kopfe trägt und sich etwas niederbeugt, damit die Herrin das ver- 
hüllende Tuch darüber decken kann. Juditlfs Blick wendet sich nach 
rechts, wo man den Körper des Erschlagenen noch iniden letzten 
Todeszuckungen sieht, während links ein WVächter in tiefem Schlaf 
versunken liegt. Das vierte Bild, noch knapper in der Composition, 
zeigt den jungen David, wie er den zu Boden gestürzten Goliath am 
Kopfe packt und kühn über seinen Leib hinwegsteigend zum Ver- 
nichtungsstreiche ausholt. Zu beiden Seiten des Zeltes sind einige 
Köpfe und Halbiignren zusehauender Krieger aus beiden Lagern an- 
gedeutet. Auch diese Bilder sind Muster einer wahrhaft historischen 
Darstellung, die mit Üebergehung alles Nebensächliehen nur die we- 
sentlichen Züge giebt. In dieser Hinsicht kann man sich keinen grösse- 
ren Gegensatz denken, als den zwischen diesen Werken und denen 
des fünfzehnten Jahrhunderts, in welchen die umständliche Schilderung 
der Umgebungen eine so grosse Bedeutung hat, dass nicht selten da- 
runter die Hauptsache leidet. Michelangelo, indem er die gesammte 
Umgebung, sei es Landschaft oder Architektur, auf das N othdürftigste 
beschränkt, concentrirt die ganze Kraft der Schilderung auf die mensch- 
liche Gestalt. Man kann sagen, dass er in dieser Hinsicht wieder bei 
Masaccio anknüpft, dessen einfache Wucht und Grösse ihm wahl- 
verwandt erscheint. Was er aber als wesentlich neues Element hinzu 
bringt, ist das tiefste Verstandniss des Nackten, welches keiner vor 
oder nach ihm je mit ähnlicher Meisterschaft beherrscht hat. Deshalb 
grade mussten die Geschichten der Genesis ihm hochwillkommen sein, 
weil er hier die unbekleidete menschliche Figur nach Herzenslust in 
den verschiedensten Stellungen und Verkürzungen anwenden konnte.
	        
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