11.2
Buch.
Kapitel.
Michelangelo
Buonarroti.
Rechte müssig im Schoosse ruht und der Kopf mit halbumßortem Blick
über die linke Schulter wegschaut. Besonders edel ist hier namentlich
die Gewandung behandelt. Die beiden Knaben sind eifrig mit Lesen
beschäftigt. Nun folgt der Prophet Jesaias, wieder eine individuell
aufgefasste Gestalt mit männlich schönem Kopfe. Vornehm, nachlässig
die Füsse übereinander schlagend, hält er ein grosses Buch, in dem er
oHc-nbar gelesen hat, halb geschlossen neben sich, den Finger als Lese-
zeiihen benutzend. Die Linke nähert sich mit ausgestrecktem Zeige-
fing dem Kopf, mit ausdrucksvollem Gestus die Geberde des Auf-
mernens begleitend. Von den beiden Knaben scheint der eine ihn
lebhaft auf einen Vorgang aufmerksam zu machen. Die nun folgende
Cumäische Sibylle ist eine Alte mit harten gefurchten Zügen, die mit
gespannter Aufmerksamkeit ein grosses Buch öffnet, aus welchem sie
die Zukunft zu erforschen scheint. Die fast abstossende Herbigkeit
dieser Gestalt wird gemildert durch die beiden lieblichen Knaben,
welche neugierig in das Buch zu schauen suchen. Eine jugendlich
schöne Gestalt ist dann der Prophet Daniel (Fig. 22), dessen lockigen
Kopf lichte Begeisterung erfüllt. Er hat vor sich ein grosses geöff-
netes Buch, dem ein reizender nackter Knabe als Pultträtger dient.
Der Prophet stützt die ausgestreckte linke Hand auf den Rand des
Buches und beugt sich tief auf die rechte Seite hinüber, um in ein
zweites Jiuch Aufzeichnungen zu machen. So vertieft ist er in sein
Thun, lass er die unbequeme, zusarnmengekrümmte Stellung nicht
merkt, zu welcher der Künstler ihn gezwungen hat. Hinter ihm
taucht eine halbverhüllte Knabengestalt auf. Noch gezwungener ist
die Stellung der libyschen Sibylle, welche die Reihe abschliesst. Sie
dreht sich ganz herum auf ihrem Sitze, und während der Kopf nach
vorne schaut, Wendet sie sich nach rückwärts, um mit beiden ausge-
streckten Armen ein grosses aufgeschlagenes Buch hervorzulangen.
Ein Meisterstück in Bewegung, Verkürzung und Drapirung, leidet die
Figur doclr an dem Zu gewaltsamen Motiv. Üeberhaupt kommen
solche etwas gesuchte Stellungen an den Gestalten dieser Seite mehr-
fach vor, während die der gegenüber liegenden Seite nichts davon
spüren lassen und eine grössere Unmittelbarkeit zeigen.
Nun blieben noch ringsum die Stichkappen und Schildbogenwande
über den Fenstern übrig, welche nach dem Programm den Stammbaum
Christi enthalten sollten. Der Stichkappen sind es im Ganzen acht, an
jeder Langseite vier. Auch hier hat Michelangelo das traditionelle
Motiv zu freiem Leben, das speziell Kirchliche zum allgemein Mensch-