Decke
der Sixtina.
Trunkenheit.
Noah's
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erhaltung werden die, welche sich anzuklammern und hinein zu schwingen
suchen, erbarmungslos zurückgestossen. Im Hintergrunde sieht man
die Arche, deren aus dem Wasser ragender Rand ebenfalls von einem
Gedränge Flüchtender belebt wird. Eben entschwebt ihr die auf Bot-
schaft ausgesandte Taube, und der Mond, der aus dichten Wolken-
rnassen hervorbricht und sein Licht über die endlose Wasserfläche
ausgiesst, scheint anzudeuten, dass der Zorn des Himmels gestillt sei.
Es ist ein gewaltiges Drama, dessen erschütternde Scenen der Künstler
vor uns mit souveräner Meisterschaft entrollt. Welch ein Abstand und
Fortschritt, wenn man an die dürftige Darstellung UceellYs (I. 277)
sich erinnert!
Das letzte, wiederum kleinere Bild schildert N0ah's Trunkenheit.
Der Patriarch liegt, vom Weine bezwungen, in tiefem Schlaf am Boden;
meisterlich ist in der prächtigen Figur das Gelöstsein der Glieder und
die Schwere des über die Brust sinkenden Kopfes ausgedrückt. Rechts
sieht man Ham, der spottend auf ihn zeigt, während der neben ihm
stehende Japhet den bösen Bruder liebevoll umfasst und von seinem
frevelhaften Beginnen abzulenken sucht. Sem dagegen wirft abgewen-
deten Blickes den Mantel über seinen Vater, um dessen Blösse zu be--
decken. Auch diese Composition ist von schlagender Prägnanz des
Ausdrucks.
Die drei letzten Bilder waren die ersten, welche Michelangelo
ausführte. Erst nach ihrer Vollendung bemerkte er, dass der Maass-
stab der Figuren für die bedeutende Entfernung vom Auge Zu klein
sei. Er änderte nun den Maassstab und führte die folgenden Bilder
in einer Grösse der Form und des Stiles aus, die ihnen die volle Wir-
kung verbürgte.
Noch gewaltiger schwang sich-sein Genius auf, als es galt, die
Gestalten der Propheten und Sibyllen auszuführen. Wie die
mittelalterliche Kunst den vorbildlichen Zusammenhang des Alten Testa-
mentes mit dem Neuen zu betonen liebte, so fasste sie früh die Pro-
pheten des alten Bundes als die Verkünder der Ankunft des Messias
auf. So findet man beim Stammbaum Christi die Propheten mit
Spruchbändern, auf denen bezeichnende Stellen ihrer Weissagungen
zu lesen sind, als Umrahmung des Ganzen, wie an der Decke der
Michaelskirche zu Hildesheim. An Portalen, wie z. B. am Dom zu
Bamberg, ist die Beziehung zum neuen Testamente oft so ausgeprägt,
dass stets ein Apostel auf der Schulter eines Propheten, gleichsam
seines Vorgängers, steht. Während aber die Apostel individuell cha-