der Sixtina.
Decke
Grundidee.
in Flandern in Gold und Seide ausführen liess. Den Abschluss machte
endlich Michelangelo mit seinem Jüngsten Gericht. S0 wetteiferten
die bedeutendsten Künstler des 15. und 16. Jahrhunderts in dem Be-
streben, die vornehmste Stätte des päpstlichen Kultus zu schmücken,
und so wurde die sixtinische Kapelle das grösste und erhabenste Ge-
sammtdenkmal der christlichen Malerei.
Dass einem so grossartigen Unternehmen, mit dessen Ausführung
beinahe siebzig Jahre (1473-1541) unter der Regierung einer Reihe
von Päpsten hingingen, eine einheitliche Idee zu Grunde liegt, ist ver-
schiedenen Biographen Michelangelds entgangen, obwohl ich vor längerer
Zeit darüber den Beweis geführt habe. Hätte der Künstler, wie es
einen Augenblick die Absicht gewesen zu sein scheint, bloss die Ge-
stalten der Apostel an diese ungeheure Decke gemalt, so wäre er nicht
bloss der Armseligkeit verfallen, sondern auch von jenem einheitlichen
Plan abgewichen. Dieser Gesammtplan beruht auf einer durch das
ganze Mittelalter in den Kunstwerken zu verfolgenden Grundidee, nach
welcher der Inhalt des Erlösungswerkes in vielfach gegliedertem Paral-
lelismus veranschaulicht wurde. Die leitende Idee dabei War, die Dar-
stellungen aus dem Leben Christi mit entsprechenden Scenen aus dem
alten Testamente zu begleiten, den Alten und den Neuen Bund im
Verhältniss von Verheissung und Erfüllung aufzufassen, die Vorgänge
des Einen als prophetische Hinweise auf die Ereignisse des Andern
zu behandeln. In der weiteren Entwicklung führte die Gliederung
dieser vtypologischen Bilderkreise" zu einer consequenten Dreitheilung
des Stoffes, indem man unter den Geschichten. des alten Testaments
eine schärfere historische Sonderung vor und nach der mosaischen
Gesetzgebung (ante legem und sub lege) einführte. Beiden stellte man
die Epoche des Erscheinens Christi auf Erden als dieHerrschaft der
Gnade (sub gratia) gegenüber. Man gewann dadurch eine reiche
architektonische Gliederung, und eine bedeutsame Raumsymbolik, welche
den Inhalt der christlichen Geschichten um so nachdrücklicher l1ervor-
treten liess.
Auf ähnlichen Gesetzen beruht der malerische Schmuck der six-
tinischen Kapelle, ja es waltet hier eine Raumsymbolik, welche die
geschichtliche Zeitfolge nach dem Maasse des räumlich Entfernteren
und Nähßrßll dem Auge verführt. Die Gemälde der Decke lassen die
Epoche der Schöpfungsgeschichte bis zur Sündüuth (ante legem) er-
scheinen. Die Wandbilder der linken Langseite schildern in sechs
grossen Fresken die Geschichte Mosis (sub lege); ihnen gegenüber sehen
Lübke, Italien. Malerei. II. 7