Buch.
111. Kapitel.
Buon arroti
Michelangelo
ihn hinwegfegen sollte. Als Michelangelo die Vorboten dieses Volks-
gerichts merkte, ergriff ihn eine so plötzliche Angst, dass er wie von
Dämonen getrieben aus Florenz entwich und in Venedig eine Zuflucht
suchte (1494 im Herbst). Als er sich dann bald nach Bologna wandte,
machte er dort die Bekanntschaft eines einiiussreichen Kunstfreundes,
durch dessen Vermittlung ihm "der Auftrag zu Theil _ward, an dem
Grabmal des h. Dominicus in dessen Ordenskirche, einem reichen
Marmorwerk des 13. Jahrhunderts, einige noch fehlende Figuren zu
arbeiten. So entstanden die Statuetten des h, Petronius und Prokulus
(diese schon bald untergegangen) sowie eines kandelaberhaltenden Engels.
Lange Zeit hat man den überaus holdseligen, zur Linken knieenden
Engel für das Werk Michelangelos gehalten; jetzt aber weiss man,
dass er die Arbeit des Niccolo dell' Arca ist, und dass man vielmehr
den anderen, energischer, aber unschöner gebildeten für Michelangelds
Schöpfung halten muss. Mit diesen Figuren, für die er dreissigDukaten
erhielt, hat er keine grosse Ehre eingelegt. Auch konnte er nur kurze
Zeit darauf verwenden, da wir ihn schon 1495 im Sommer wieder in
Florenz antreffen.- Dort hatte inzwischen Savonarola die Üeberhand
erlangt und machte eben den Versuch seiner phantastisch theokratischen
Republik. Michelangelo, dessen reine Gesinnung in der Sittenstrenge
und dem Freiheitsgefühl des Bussepredigers sich gefiel, gehörte zu den
Künstlern, welche zu berathen hatten, wie der Sitzungssaal für den
neuen grossen Rath herzustellen sei. Inzwischen arbeitete er einen
schlafenden Amor, dem er auf den Rath eines Mitgliedes der Familie
Medici das Ansehen einer eben ausgegrabenen antiken Statue gab.
Dieses Werk gelangte durch einen Zwischenhändler in den Besitz des
Kardinals Rafael Riario, der dasselbe als eine kostbare Antike mit zwei-
hundert Dukaten bezahlte, von welchen Michelangelo freilich nur
dreissig erhielt. Als aber die Sache ruchbar wurde, schickte der Kar-
dinal einen Vertrauten nach Florenz, um Erkundigungen einzuziehen.
Da Michelangelo, der Wohl eine Täuschung, aber keinen Betrug beab-
sichtigt hatte, sich offen zu dem Werke bekannte, lud der Abgesandte
ihn dringend ein, nach Rom zu kommen. Michelangelo reiste ab und
langte am 25. Juli 1496 in der ewigen Stadt an. Aber die Hoffnungen,
die er gehegt hatte, wollten sich nicht erfüllen, und der junge Künstler
mag eine Zeit bitterer Enttäuschung durchgemacht haben.
In diese Zeit fällt wahrscheinlich das früheste Tafelgemälde,
welches wir von seiner Hand besitzen. Lange Zeit für ein Werk
Ghirlandajds gehalten, ist es erst auf der Manchester-Ausstellung von