Michelangelds.
Arbeiten
Früheste
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seine Tafel. Hier kam Michelangelo in fortwährende Berührung mit
den ausgezeichnetsten Geistern Italiens, denn an Lorenzo's Tafel fand er
die ersten Gelehrten, Staatsmänner, Dichter und Künstler der Zeit. In
dem hochgebildeten Kreise wurden literarische, künstlerische und wissen-
schaftliche Fragen in dem grossen Sinne der Renaissancekultnr erörtert.
Eine höhere Auffassung und ein freierer Blick in's Leben Wurden ihm
hier zu Theil, namentlich aber drangen zum ersten Mal die platonischen
Lehren an sein Ohr, welche seiner idealgestimmten Natur innig verwandt
waren. Mit den Söhnen des Hauses, dem späteren Papst Leo X. und
dem nachmals so unglücklichen Piero, verkehrte er in freundlichster Weise.
Damals stellte er auf Veranlassung des gelehrten Poliziano in einem
Marmorrelief des Herkules Kampf mit den Kentauren dar. Das Werk,
welches sich jetzt noch in der Casa Buonarroti befindet, leidet zwar an
Ueberfüllung, setzt aber durch die Lebendigkeit der Bewegungen und
die für einen siebenzehnjahrigen Künstler überraschende Kenntniss
der Formen in Staunen. Aus dieser Zeit datirt auch ein ebendort
befindliches Marmorrelief einer Madonna mit dem Kinde, das Weit mehr
der Weise Donatello's als der Antike folgt, aber einzelne Züge selb-
ständiger Empfindung verrath. Damals schon erregte der hochbegabte
Künstler, der im Uebermuth sich an den Genossen zu reiben liebte, die
Eifersucht seiner Genossen, und Pietro Torrigiani versetzte ihm einst
in der Leidenschaft einen solchen Schlag in's Gesicht, dass das Nasen-
bein zerbrach und Michelangelo auf Lebenszeit verunstaltet blieb.
Als der junge Künstler vier Jahre im Hause der Medici war,
wurde durch den Tod Lorenzo's (1492) dieses Verhältniss gelöst. In
das Haus seines Vaters zurückkehrend, betrauerte er den Verlust seines
edlen Gönners, suchte dann aber sich durch Arbeit vom Uebermaass
des Schmerzes zu befreien, indem er einen grossen Marmorblock erwarb
und daraus einen vier Ellen hohen Hercules schuf. Das Kunstwerk,
welches später nach Frankreich kam, ist gänzlich verschollen. Auch
ein Crnciiix aus Holz scheint untergegangen, mit welchem er dem
Prior von Sto. Spirito seinen Dank dafür erstattete, dass dieser im
Kloster ihm ein Zimmer überlassen hatte, wo er Leichen sßciren und
den Grund zu seiner unübertroffenen anatomischen Kenntniss legen
konnte. Bald darauf zog Piero de' Medici ihn wieder in seinen Palast;
aber ohne den hohen Sinn seines Vaters vermochte er die Kunst nur
als Spielzeug, nicht als eine der edelsten Lebensausserungen aufzu-
fassen. In seinem Uebermuth wurde der entartete Medici bald S0
allgemein verhasst, dass sich im Stillen der Sturm vorbereitete, welcher