Buch.
Kapitel.
Nlichelangelo
Buonarroti.
selbst die an Jahren und Uebung überlegenen, übertraf. Einer von
diesen hatte einst nach Entwürfen Ghirlandajds einige weibliche Ge-
wandfiguren gezeichnet. In keckem Uebermuth nahm Michelangelo die
Vorlage und corrigirte dieselbe, indem er die Zeichnung seines Meisters
mit sicheren Federstrichen umzog. Musste diess schon Aufsehen erregen,
so stutzte Ghirlandajo noch mehr, als er einst, nach kurzer Abwesenheit
zu seiner Arbeit zurückkehrend, ein Blatt fand, auf Welchem inzwischen
Michelangelo das ganze Gerüst sammt den darauf beschäftigten Gehülfen
dargestellt hatte. Die Zeichnung war so richtig und in so eigenartigem
Stile durchgeführt, dass Ghirlandajo staunend sagte: Der versteht
mehr als ich. Er fing nun an mit Eifersucht die dämonisch empor-
wachsende Kunst seines Schülers zu betrachten. Es war Zeit, dass das
Verhältniss gelöst wurde, in welchem Michelangelo nichts mehr lernen
konnte.
Inzwischen hatte Lorenzo de' Medici in seinem Garten bei S. Marco
ein ganzes Museum plastischer Kunstwerke, namentlich antiker Skulp-
turen, zusammengebracht und die Sammlung unter die Aufsicht des
alten Bertoldo, eines Schülers Donatellds, gestellt. Er hoffte dadurch
die Bildhauerei auf eine höhere Stufe zu heben und gestattete einer Anzahl
junger Künstler, darunter Granacci und Michelangelo, dort ihre Studien
zu machen. Man kann sich vorstellen, mit welcher Begeisterung nament-
lich ein Feuerkopf wie Michelangelo diese Gelegenheit ergriff, wie die
hochgefeierte antike Kunst auf ihn einwirkte. Der Bildhauer erwachte
in ihm und machte seine ersten Versuche mit dem Meissel. Sofort
gab er sich daran, eine antike Faunmaske, die seine Aufmerksamkeit
erregte, in Marmor nachzubilden, doch schon hier regte sich die Selb-
ständigkeit seines Geistes, indem er die Veränderung anbrachte, dass
der Faun den Mund zum Grinsen öffnete und dabei beide Zahnreihen
sehen liess. Als Lorenzo das Werk mit Erstaunen betrachtete, setzte
er scherzend hinzu: Aber du hast deinen Faun alt gemacht und ihm
doch alle Zähne gelassen. Betroffen über die Richtigkeit des Vorwurfs,
meisselte Michelangelo sofort dem Faun eine so natürliche Zahnlücke,
dass Lorenzo völlig zufriedengestellt wurde.
Von da ab trat der hochsinnige Medici in ein näheres Verhältniss
zu dem vielversprechenden jungen Mann; um des alten Buonarroti
Widerstreben vollends zu beseitigen, unterstützte er ihn und seine zahl-
reiche Familie und machte Michelangelo zu seinem Hausgenossen, liess
ihm ein Zimmer in seinem Palast anweisen, schenkte ihm Kleider und
ein Taschengeld von fünf Dukaten monatlich und zog ihn täglich an