Michelangelds
Geburt und
Kindheit.
83
übergeben ward. Daher pflegte Michelangelo später zu sagen, seine
Vorliebe für die Bildhauerei sei nicht zu verwundern, denn er habe
sie mit der Ammenmilch eingesogen. Kräftig wuchs der Knabe in der
ländlichen Umgebung heran, und da sich zugleich in ihm früh ein
lebendiger Geist regte, wollte der Vater aus ihm einen Gelehrten
machen und übergab ihn einem Schulmeister F rancesco aus Urbino,
der damals zu Florenz Unterricht in der Grammatik ertheilte. Aber
diese Studien fesselten ihn wenig, dagegen zeichnete er was ihm in
den Wurf kam und hielt sich am liebsten in den Werkstätten der
Künstler auf, wo er besonders in dem liebenswürdigen fünf Jahre
älteren Francesco Granacci einen Freund gewann. Vergeblich suchte
der Vater durch Ermahnungen, ja durch Schläge ihn davon abzubringen,
der Hang zur Kunst war_ so mächtig in dem Knaben, dass der Vater
endlich ihm nachgab und ihn zum bedeutendsten Maler der Stadt, zu
Domenico Ghirlandajo in die Lehre brachte. Spät genug nach den
Anschauungen der damaligen Zeit, am 1. April 1489, trat der vierzehn-
jährige Michelangelo in die Werkstatt ein. Drei Lehrjahre wurden
festgesetzt und dem Vater als Entgelt 24 Gulden bestimmt. Mit wel-
chem Feuer mag der junge Kunstschüler sich nun dem ersehnten
Berufe gewidmet haben! Ghirlandajo war damals grade an den Fresken
im Chor von Sta. Maria Novella (I S. 338 beschäftigt. Es war die
beste Schule für Michelangelo, sich mit dem lebensvollen Stil monu-
mentaler Freskomalerei vertraut zu machen. Bot doch Florenz damals
in seinen Kirchen, Kapellen, Sakristeien, Kapitelhäusern eine unabseh-
bare Fülle solcher Schöpfungen, in denen von Giotto bis auf Ghirlandajo
die Kunst ihr Höchstes versucht und gegeben hatte. Am meisten fes-
selten ihn, wie die ganze heranwachsende Generation, die gewaltigen
Werke Masaccids im Carmine (I S. 292 , vor welchen er immer
auf's Neue zeichnete. Aber auch die herbe Natur-Wahrheit und die
tiefsinnige Phantastik der nordischen Kunst erschienen ihm bedeutend
genug, um sie genauer zu studiren. Als er einst von Granacci den
bekannten Stich Martin Schön's, die Versuchung des h. Antonius erhalten
hatte, bemühte er sich ihn in einem Gemälde nachzubilden. Um aber
die Farben der sehuppigen Ungeheuer, die den Heiligen bedrängen,
möglichst natürlich herauszubringen, studirte er auf dem Markte mit
Eifer die Schuppen und Flossen der verschiedenen Fische und brachte
ein lÄTeTk Zll Stande, das Jedermann bewunderte.
Indem er in solcher Weise unablässig seinen Studien oblag, maehte
Michelangelo so rasche Fortschritte, dass er bald alle seine Mitschüler,