Kapitel.
Byzantinisch-Romanische
Epoche.
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Eine wichtige Ergänzung dieser sehr vereinzelten Anschauungen
gewähren die Miniaturen der Zeit, namentlich gewisse Italien
ausschliesslich eigenthümliche Malereien, welche man nach dem An-
fangsworte deS darin Vefzßißhlleiell Hymnus „Exulteta nennt. Dieselben
beziehen sich auf die heilige Nacht vor dem Osterfeste, in welcher die
Auferstehung Christi und sein Hinabsteigen zur Unterwelt, also sein
Sieg über Tod und Teufel gefeiert wurde. Der Text des dazu ge-
hörigen Hymnus, der mit den Worten beginnt: „Exu1tet turba ange-
loruma, wurde auf einen langen Pergamentstreifen geschrieben, welchen
der fungirende Geistliche vor Augen hatte, während das dazu gehörige
Bild zur Erbauung für die Gemeinde über die Brüstung der Kanzel
herabhing. Ueberaus mannigfaltig ist der Gedankenkreis in diesen
Bildern, welche das Leiden Christi und vor Allem seine Erlösungsthat
im Zusammenhange mit dem Sündenfalle als den Grundgedanken
christlicher I-Ieilslehre schildern. Den Mittelpunkt der kirchlichen Feier
bildet aber die Weihe der Osterkerze, und dies gab nun den Künstlern
Veranlassung, eine Reihe von Bildern dem Leben der Bienen und der
Gewinnung und Bereitung des Waohses zu widmen. (Fig. 2G.) Diese
merkwürdigen Denkmals, die noch in mehreren Exemplaren, namentlich
im Kloster Sta. Maria sopra Minerva und im Palazzo Bar-
berini zu Rom, ebenso in der Opera del Duomo zu Pisa und im
Dom zu Salerno sich finden, zeigen besonders deutlich einerseits
das Nachwirken antiker Auffassung, wie denn die Erde personificirt
wird als nackte Frau, an deren Brüsten ein Rind und eine Schlange
saugen, andrerseits den Uebergang zu neuen frischen Anschauungen,
die in sinniger Weise bei der Schilderung des Lebens der Bienen von
einem neu erwachten Naturgefühl Zeugniss ablegen. Ein gesteigertes
Bedürfniss nach Schmuck verräth sich auch in den zierlichen Flecht-
werken, Welche die einzelnen Darstellungen und den Text umrahmen,
und in den verschlungenen Ranken und Bändern der Initialen. In
letzteren kündigt sich der Einfluss nordischer Kunst an, wie er seit
der Iiarolingei-zeit in den Miniaturen vorkommt.
Im Uebrigen ist die Miniaturmalerei der Epoche in Italien keines-
Wegs so glänzend gepflegt wie in Deutschland. Dieser anmuthige
Kunstzweig gedeiht nur da WO ein wissenschaftliches Leben blüht, wo
die Klöster, die Bischöfe, die weltlichen Fürsten wetteifern im Besitz
kostbarer reichgeschmückter Manuscripte. In Italien dagegen gab es
keine Wissenschaft, keine höhere Pflege der Literatur und Kunst, und
dem entspricht auch der Zustand der wenigen Miniaturen dieser Epoche.