I. Buch.
Mittelalter.
Das
Ungefähr gleichzeitig waren die Mosaiken der 545 eingeweihten
Kirche S. Mi c chele in Affricisco, welche von Friedrich Wilhelm IV.
angekauft, noch immer in Kisten verpackt, im Hofbaudepot zu Berlin
sich befinden. In der Apsis auf geblümtem Wiesengrunde steht zwischen
den Erzengeln Michael und Gabriel jugendlich und bartlos der Heiland,
in der vom heraufgenommenen Mantel bedeckten Linken das Evan-
gelium, in der Rechten einen Kreuzstab haltend. Am Triumphbogen
sieht man in männlicher bärtiger Gestalt Christus als Weltrichter auf
einem Throne, in der Linken das geschlossene Buch, die Rechte fried-
lich erhoben. Er ist auch hier von zwei Engeln umgeben, neben
welchen sieben andere, drei links und vier rechts, gegen Christus ge-
wendet in die Posaunen des jüngsten Gerichts stossen. Zu Füssen der
Darstellung an den unteren Zwickelflälchen der Wand erscheinen die
jugendlichen Gestalten der heiligen Cosmas und Damianus. Auch hier
also, wie so oft in altchristlichen Bildwerken, wird Christus nicht bloss
in symbolischer Jugenderscheinung, sondern zugleich in historischer
Darstellung vorgeführt.
Wichtiger sind die Mosaiken von S. Vitale, jenes merkwürdigen
centralen Kuppelbaues, der noch unter gothiseher Herrschaft 526 von
den Orthodoxen begonnen, erst unter byzantinischer (547) zur Vollen-
dung kam. Es ist ein Raum, der trotz seiner eomplicirten Anlage,
trotz der in die achteckigen Umgangs vorspringenden Nischen, ja sogar
trotz der Zerstörungen und Ümgestaltungen, welche die innere Aus-
stattung betroffen haben, noch immer durch die edlen Verhältnisse, die
Weite und schlanke Höhe des Mittelraumes, das reichlich einströmende
Licht eine herrliche Wirkung ausübt. Wie harmonisch aber ursprüng-
lich das Ganze gewesen sein muss, lasst sich wohl ahnen, wenn man
die nur noch in der Apsis und dem Kreuzgewölbe des Presbyteriums
vorhandenen Mosaiken in Gedanken auf die übrigen Theile überträgt.
Die Gesammtwirkung dieses musivischen Sehmuckes ist von edelster
Pracht, das Gefühl für ornamentale Harmonie zeigt sich noch auf
anerkennenswerther Höhe. Der Goldgrund ist für die Apsis und' das
derselben vorliegende Tonnengewölbe aufgespart. Ebenso haben die
östliche und westliche Kappe des Kreuzgewölbes im Presbyterium blaue
Ranken auf goldnem Grunde, während die beiden andern Kappen goldne
Ranken auf grünem Grunde zeigen, eins der frühesten Beispiele des
rhythmischen Farbenweehsels, der während des ganzen Mittelalters vor-
herrscht. Alles andere hat dunkelblauen Grund, selbst die Trapez-
kapitale des Chores sind mosaicirt und zeigen weisse und goldne Ranken