Kapitel.
Unteritalien.
Malerei in
Die
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Wiedergabe der Formen, wie sie nur etwa bei Jan van Eyck, Dürer
und Lionardo angetroffen werden. Diese Eigenschaften machen ihn
zu einem der ersten Bildnissmaler seiner Zeit, dessen Porträts durch
die wunderbarste Spiegelung der Wirklichkeit bis in die kleinsten zu-
fälligen Einzelheiten von schlagender Wahrheit erscheinen. In diesen
Werken namentlich erkennt man, wenn nicht den Schüler, so doch
den Erben Jan van Eyck's. Weit weniger genügt Antonello in Auf-
gaben religiösen Inhalts; sein rücksichtsloser Realismus lässt ihn dabei
zu derben Formen und heftigem Ausdruck sich verirren und weder
zu feierlicher Würde, noch zu feinerer Anmuth gelangen. Aber gerade
in dieser Beschränkung vermochte er um so scharfer sein Augenmerk
auf die Entwickelung der Technik zu richten, und so sollte ein Künstler
aus dem entlegensten Theile des Landes, der ohne tiefere Berührung
mit irgend einer der tonangebenden Schulen Italiens aufgewachsen war
und eben desshalb fremden Einflüssen um so leichter offen stand, die
Kunst des Nordens mit der südlichen in Beziehung setzen.
Dass Italien in seiner reichen Entwickelung damals geistig nichts
vom Norden empfangen konnte, bedarf keines Beweises; dagegen ver-
mochte es wohl von den technischen Fortschritten der flandrischen
Schule Vortheil zu ziehen. Begreiflich daher, dass es nicht eines
Künstlers von tiefer schöpferischer Anlage, sondern ausschliesslich eines
Mannes von hervorragender technischer Begabung bedurfte, um diesen
Entwicklungsprozess anzubahnen. Es ist Antonello's Verdienst, die
Vermittlerrolle zwischen Norden und Süden übernommen zu haben.
Wir sahen bereits, wie er auf die gesammte venezianische Kunst um-
gestaltend einwirkte, wie die Vivarini und Bellini im Wetteifer sich
des neuen Verfahrens zu bemächtigen strebten, wie Carpaccio, Cima
und alle die andern ihnen folgten. Bis 1473 etwa dürfen wir den aus
Flandern heimgekehrten Künstler als in Neapel ansässig uns denken.
Dass es ihn indess bald drängte, einen künstlerisch bedeutenderen Ort
aufzusuchen, begreift sich leicht. Wie er dazu kam, gerade Venedig
zu wählen, vermögen wir nicht zu sagen; doch mag die Aussicht, in
den dortigen Prachtliebenden vornehmen Kreisen als Bildnissmaler
lohnende Beschäftigung zu finden, dabei bestimmend gewesen sein,
dann von jeher hat die Aristokratie ihre monumentale Verherrlichung
im Bildniss gepflegt. Es fehlt nicht an alten Nachrichten, welche uns
Kunde geben von dem Erstaunen, das die Kunstwelt Venedigs ergriff,
als Antonello zuerst dort mit seinen meisterhaft vollendeten Werken
auftrat. Nie vielleicht ist eine so völlige und plötzliche Revolution im