558
Buch.
Die Frührenaissance.
realistischen Durchbildimg, die sich bis auf die kleinsten Dinge der
Umgebung erstreckt, gehört dies Werk wahrscheinlich zu jenen Ar-
beiten, Welche den fiandrischcn Realismus zuerst in Ünteritalien zur
Geltung gebracht haben. Ein flandrisches Bild ist auch das ehemals
mit jenem Bilde verbundene Altarwerk in S. Lorenzo Maggiore,
welches den h. Franziskus darstellt, wie er die Ordensregeln ertheilt,
ebenfalls eine tüchtige wenngleich etwas steife Arbeit der Handrischen
Schule. Dasselbe gilt von der Grablegung in S. Domenico, sowie
von manchen anderen Werken, die wir hier nicht weiter zu verfolgen
haben.
Solche Schöpfungen ohne Zweifel waren es, welche auf die ein-
heimischen Künstler einen bedeutenden Eindruck machten und ihnen
den Blick in eine neue ungeahnte Kunstwelt erschlossen. Auf solche
Anregungen hin begab sich, wie schon Vasari berichtet, ein Künstler
aus dem äussersten Süden, Antonello da Messina, nach Flandern, um
in der Schule Jan van Eyck's sich mit der neuen Malweise vertraut
zu machen. Von den Lebensverhältnissen dieses merkwürdigen Mei-
sters, der die gesammte italienische Malerei technisch umgestalten
sollte, wissen wir so gut wie nichts. Nach alten Ueberlieferungen soll
er 1496 als Fünfzigjähriger gestorben sein. Demnach wäre er 1446
geboren und könnte dann nicht wohl der Schüler Jan van Eyck's
gewesen sein, der 1440 gestorben ist. Aber nichts hindert anzunehmen,
dass Antonello bei einem der späteren ilandrischen Meister seine tech-
nische Schule durchgemacht habe. 'Die von ihm noch vorhandenen
Werke, soweit sie datirt sind, bewegen sich zwischen den Jahren
1465 und 1478; ausserdem wissen wir, dass Katharina Cornaro 1489
bei ihrer Rückkehr aus ihrem Königreich Cypern bei ihm ein Ma-
donnenbild kaufte, welches sie einer ihrer Hofdamen zur Vermählung
schenkte.
Diese dürftigen Daten sind alles, was wir mit Sicherheit von
Antonello wissen.
Um so wichtiger für uns ist die Kunde, welche wir aus seinen
Werken über ihn schöpfen. In diesen erscheint er als ein Künstler,
der nicht durch Grösse des Sinnes, Tiefe der Gedanken, Reichthum
der Phantasie hervorragt, vielmehr in allen diesen Beziehungen nur
mittelmässig begabt erscheint. Er ist eine nüchtern realistische Natur,
mehr für das Charakteristische als für das Schöne empfänglich, in
dieser einseitigen Richtung aber von einer Kraft und Schärfe der
Auffassung, einer Tiefe der Beobachtung und einer Bestimmtheit in