Kapitel.
Die
Schule von
Venedig.
545
Üngleich wichtiger ist die Thätigkeit eines anderen Meisters, der
mehr als irgend ein anderer an feierlichem Ernst der Auffassung und
vollendeter Durchbildung der Technik dem Giovanni Bellini nahe
kommt: Giovanni Baittista, gen. Cima da Conegliano. Wie es scheint
aus Udine gebürtig, hat er in Venedig seine erste Unterweisung bei
Aloise Vivarini erhalten, wie man aus einem Jugendbilde im Musee
Napoleon III. des Louvre erkennt, wo er sich ausdrücklich als Schüler
jenes Meisters bezeichnet. Bald aber trug auch bei ihm der Einßuss
der edlen Kunst Bellinfs den Sieg davon. In dem emailartigen Fluss
des Farbenauftrags, in der tiefen Glut und Leuchtkraft des Kolorits
steht er dem Giovanni am nächsten, wie er denn auch noch aus-
schliesslicher als jener sich der Ausführung von Andachtsbildern wid-
met. Namentlich in den grösseren feierlichen Werken, welche die-
thronende Madonna mit Heiligen enthalten und denen man den bezeich-
nenden Namen einer „Santa conversazione" giebt, schliesst er sich dem
Vorbilde Bellini's an. Daneben aber ergeht er sich mit besonderer
Lust in der Darstellung jener kleineren idyllischenScenen, in welchen
die Madonna mit dem Kinde allein vorgeführt Wird. Während in sol-
chen Aufgaben Bellini die vornehme Gelassenheit und Feierlichkeit
seiner grossen Repräsentationsbilder immer noch merken lässt, bringt
Cima weit stärker einen vorwiegend gemüthlichen Zug zur Geltung
und lässt uns das Mutterglück in einem lebendigeren Anklange innigen
Empfindens als Ausdruck herzlichen Familienlebens spüren. So nimmt
er imter den Venezianern eine ähnliche Stellung ein, wie Lorenzo di
Üredi unter den Florentinern und gehört in diesem engen Kreise der
Erfindung zu den liebenswürdigsten Meistern der Zeit, die durch
schlichte Treuherzigkeit uns fesseln. Der wunderbare Farbenschmelz
seiner stets mit der grössten Sorgfalt durchgeführten Bilder, die auch
in dieser Hinsicht an Lorenzo di Credi erinnern, erhält eine stimmungs-
volle Ergänzung durch die köstlichen landschaftlichen Gründe, in denen
er die malerischen Abhänge seiner friaulischen Heimath mit ihren
phantastischen Dolomitkuppen überaus poetisch wiedergiebt.
Zu den früheren Werken des Meisters gehört eine thronende
Madonna vom Jahr 1489 mit den h. Jacobus und Hieronymus in der
Galerie zu Vicenza, noch in Tempera ausgeführt. Bald darauf muss
Cima sich mit der Oelmalerei vertraut gemacht haben, die er dann in
seinen späteren Arbeiten unablässig zu hoher Vollendung zu entwickeln
sucht. Seine Pieta in der Akademie zu Venedig, ein Werk voll
Kraft und Ausdruck, bekundet in der Auffassung des Gegenstandes
Lübke. Italien. Malerei. I. 35