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Die Frührenaissance.
Anfang des Cyclus gemacht zu haben scheint, zeigt den Künstler in
der malerischen Auffassung und der lebendigen Schilderung der Wirk-
lichkeit, in der trefflichen perspektivischen Anordnung der Pläne bereits
zu grosser Freiheit entwickelt. Köstlich sind Qsodann die grossen
Ceremonienscenen, wie die englischen Gesandten als Brautwerber beim
König Maurus in Audienz erscheinen, dann sich von ihm verabschieden,
nach England zurückkehren und dem [Könige berichten; wie dieser
seinen Sohn entlässt und der Prinz der h. Ursula begegnet; wie sie
dann nach Rom kommen und vom Papst aufgenommen werden, das
Alles in einer unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der Schilderung, wobei
reiche architektonische Gründe, Seehäfen mit stattlichen Fahrzeugen
und dem bewegten Leben am Ufer, endlich eine Fülle lebensfrischer
Porträts von Zeitgenossen, würdevoller senatorischer Männer, eleganter
Jünglinge, edler Frauen und holder Jungfrauen von wahrhaft fesselndem
Reiz sind. Den Abschluss macht das Martyrium und die Verherrlichung
der Heiligen. Vergleicht man diese Werke mit den ungefähr gleich-
zeitig entstandenen Scenen Memlings am Ürsulakasten in Brügge, so
sieht man sofort, wie der nordische Künstler in seinen kleinen miniatur-
artigen Bildchen mehr auf eine Schilderung der intimeren Beziehungen
des Seelenlebens ausgeht, während der venezianische Meister im Sinne
seiner Auftraggeber grosse Scenen von glänzender Repräsentation, wie
sie das venezianische Staatsleben einer schaulustigen Menge darbieten
mochte, verzog und mehr diesem äussern Glanz in voller Farbenpracht
nachstrebte.
In ähnlichem Stil schuf der Künstler noch mehrere ansehnliche
Reihenfolgen, aus denen man erkennt, dass er für solche Aufgaben die
beliebteste Persönlichkeit war. Noch am ursprünglichen Ort befindet
sich der Cyclus von Bildern, mit welchen er seit 1502 die Kirche
S. Giorgio de' Schiavoni zu schmücken hatte. Er malte in neun
friesartigen Bildern Scenen aus den Legenden der dalmatinischen
Schutzheiligen Georg, Hieronymus und Triphonius, Werke, welche
durch die anziehende Lebendigkeit und die malerische Anwendung der
Zeittracht fesseln, zugleich aber einen stärkeren Einiiuss Bellini's ver-
rathen. In der Schilderung des h. Hieronymus in seiner Zelle hat er
wieder eine gemüthliche Genrescene voll reizender Einzelheiten gelie-
fert. Am wenigsten günstig erweist sich ihm das Andachtsbild, wie
man an dem Altarstück der thronenden Madonna erkennt. Kurz vorher
entstand für die Scuola di S. Giovanni Ev. das grosse Legendenbild,
welches die wunderbare Heilung eines vom Teufel Besessenen durch