Kapitel.
Venedig.
Schule von
Die
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zweifelhaft und das Doppelbild im Louvre geht in seiner duftigen,
freien Behandlung schon über die Richtung dieser Künstler hinaus.
Die Wirkung dieser beiden Meister lässt sich nun an einer über-
aus zahlreichen Schule verfolgen, die bald dem einen, bald dem andern,
je nach der Eigenthümlichkeit des Einzelnen, sich mehr anschliesst, im
Ganzen aber doch auch hierin die Üeberlegenheit Giovannfs bekundet,
Dem Gentile am nächsten verwandt ist Vittore: Carpaccio, angeblich
von Herkunft ein Istrier, der in Altarbildern den Einiluss Giovannfs
verräth, in seinen grossen historischen Darstellungen aber sich dem
Gentile anschliesst und ihm zwar nicht an malerischer Freiheit und Voll-
endung, wohl aber an Lebensfülle gleichkommt. Eins seiner frühern
Werke ist das grosse aus sechs Abtheilungen und drei Predellenbildern
bestehende Altarstück in S. Giovanni e Paolo, das den h. Vincenz
in der Verklärung zwischen Christophorus und Sebastian darstellt, be-
deutende, energisch gezeichnete und modellirte Gestalten in warmer,
kräftiger Färbung, darüber eine Pieta, die in ihrer herben Strenge
dem Mantegna nahe steht. Hier ist in der That der Einfluss des
grossen Paduaners unverkennbar, wie denn die Schärfe der Zeichnung
in Verbindung mit einem bereits entwickelten Farbensinn eine Ver-
schmelzung paduanischer und venezianischer Elemente verräth. Neben
Giovanni Bellini und Luigi Vivarini war sodann Carpaccio für die
Scuola di S. Girolamb thätig; da indess die dort ausgeführten Werke
nicht mehr nachzuweisen sind, so halten wir uns an die neun grossen
Bilder, welche er von 1490 bis 1495 für die Scuola di S. Orsola aus-
geführt hat, jetzt in der Sammlung der Akademie. Sie geben die
Hauptscenen aus der Legende der h. Ursula, und zwar in der damals
beliebten Weise, welche solche legendarische Vorgänge in die unmittel-
bare Gegenwart rückte. Nach der Legende war die h. Ursula die
Tochter des Königs Maurus und wurde wegen ihrer Schönheit und
Tugend vom Könige von England für seinen einzigen Sohn begehrt.
Da zuerst der Vater sich weigerte, die christliche Jungfrau einem
Heiden zur Ehe zu geben, bestimmte diese, durch ein göttliches
Traumgesicht bedeutet, den Vater zur Einwilligung, in der Voraus-
setzung, dass der Bräutigam zum Christenthume übertrete. Dieses
geschah; die Verlobte ging mit den elf Tausend Jungfrauen, welche
die Sage ihr als Begleiterin zutheilte, zur See, reiste dann über Köln
und Basel nach Rom, wo der Papst die Verlobten einsegnete, und
erlitt dann in dem noch heidnischen Rheinlande auf der Rückkehr bei
Köln den Martertod. Die Ankunft der Heiligen in Köln, die den