Kapitel.
Schule von Venedig.
Die
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einem der malerischen Kanäle Venedigs verführt. Der Blick fällt auf
eine der hohen Bogenbrücken, unter welchen Gondeln rasch dahin-
schiessen, während sich auf derselben ein dichtes Gedränge von Zu-
schauern in höchster Spannung zeigt. Auch das Ufer links ist mit
Neugierigen besetzt, unter welchen eine ganze Garnitur neben einander
knieender, reichgeschmückter, üppiger Venezianerinnen auffällt. Man
erkennt in ihnen die Königin von Cypern Katharina Cornaro mit ihren
Hofdamen. Ganz vorn auf einem schmalen Üferstreifen knieen in an-
dächtiger Haltung würdevolle senatorische Gestalten, gegenüber ein
junges Mädchen mit einer älteren Dame. Das Ereigniss, welches diese
Menge in athemloser Spannung erhält, dreht sich wieder um einen
Moment aus der Geschichte der heiligen Reliquie, die bei der Üeber-
tragung in die Kirche S. Lorenzo in den Kanal gefallen war. Man
sieht, wie verschiedene kühne Schwimmer sich sofort in den Kanal
gestürzt haben, um das verlorene Kleinod aufzufischen, welches dann
durch den Guardian der Brüderschaft, Andrea Vendramin, glücklich
gefunden wird. In der Mitte des Kanals erblickt man ihn, die kost-
bare Reliquie wie im Triumph emporhebend, während diese den des
Schwimmens Unkundigen glücklich über Wasser erhält. Auch hier ver-
einigen sich alle Vorzüge der Darstellung zu einer Wirkung, welche uns
unmittelbar zu Zeugen des Vorgangs macht und die grossen Schwie-
rigkeiten einer solchen Raumschilderung vollkommen überwindet. Noch
ein ähnliches grosses Bild dieser Art, ursprünglich für die Scuola von
S. Marco gemalt, jetzt in der Brera zu Mailand, besitzen wir an der
grossen Darstellung der Predigt des h. Marcus zu Alexandria. Qbwohl
ebenfalls durch Restauration nicht wenig geschädigt, fesselt es noch
immer durch die lebensvolle Auffassung, die meisterhafte Vertheilung
von Licht- und Schattenmassen, die treffliche perspektivische Behand-
lung und den feinen Luftton. (Unsere Fig. 155 giebt nur einen Theil
des Bildes.) Der Künstler hat dies Werk nicht mehr selbst vollenden
können, denn als er kurz vor seinem Tode sein Testament machte,
versprach er seinem Bruder Giovanni das Skizzenbuch ihres Vaters,
wenn er dieses Bild vollenden würde. Dieser hat dann auch dem
Wunsche des Bruders bereitwillig entsprochen.
Dass Gentile als Porträtmaler im höchsten Rufe stand, lässt sich
aus seiner ganzen Richtung wohl begreifen; doch sind die in den
Galerien ihm beigelegten Bildnisse grösstentheils ilntergeschoben. Am
ersten darf man ihm ein männliches Brustbild in der Pinakothek zu
München zuschreiben, welches dort als Selbstporträt seines Bruders