Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 1)

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Buch. 
Die Frührenaissance. 
im Typus der weiblichen Köpfe, des Christkindes und des lieblichen 
musizirenden Engels, Welche wir später als Eigenthümlichkeit des 
Francesco Bissolo kennen lernen. Dazu kommt die feierliche WVürde, 
der grossartig freie Gewandstil der männlichen Heiligen und jener 
duftige Schmelz des Kolorits, in welchem sich bereits das Streben der 
jüngeren Schule ankündigt. Man sieht, dass der greise Meister von 
den Fortschritten der unter seinen Augen herangewachsenen Generation 
eines Giorgione und Tizian in rüstiger Kraft Gewinn gezogen und 
seinen eigenen Stil zu einer neuen Stufe der Entwicklung erhoben 
hat. Mit Recht durfte Albrecht Dürer, der damals in Venedig weilte, 
an seinen Freund Pirckheimer schreiben, indem er über Giovanni 
Bellini berichtete: "Er ist sehr alt und noch der Beste in der Malerei". 
Und zugleich erhalten wir von demselben treuen Gewährsmann ein 
schönes Zeugniss über den Charakter Bellinfs; denn während die ge- 
ringeren Künstler dem deutschen Maler sich feindselig erwiesen, zeichnete 
der ehrwürdige Altmeister in herzlicher Anerkennung ihn aus, besuchte 
ihn und erbat sich von ihm ein Werk seiner Hand. Dürer's Rosen- 
kranzbild, welches damals in Venedig entstand, bewahrt noch jetzt trotz 
trauriger Entstellung deutliche Beweise, dass auch an ihm Bellinfs 
Einfluss nicht spurlos vorübergegangen ist. Wie lange die Kraft des 
ausgezeichneten Künstlers unerschüttert blieb und den Einflüssen des 
Alters Trotz bot, beweist die herrliche Altartafel von 1513, also aus 
seinem siebenundachtzigsten Jahre, welche man in S. Giov. Crisostomo 
sieht. Sie stellt in herrlicher Landschaft den thronenden Hieronymus 
zwischen Christoph und Augustinus dar, grossartige Charaktere in einem 
tiefleuchtenden Kolorit, das an die edle Glut Tizians erinnert. Zu 
diesen späteren Werken muss auch die Darstellung Christi, beim Gast- 
mahl zu Emmaus mit vier Jüngern sitzend, in S. Salvatore gezählt 
werden, welches freilich von gewichtigen Stimmen neuerdings dem 
Carpaccio zugesprochen wird. Jedenfalls darf man in der wundervollen 
Gestalt und den edlen Zügen Christi den von Giovanni Bellini ge- 
schaffenen Typus anerkennen, in welchem der göttliche Lehrer und 
Meister als unmittelbare Vorstufe von Tizian's Christus mit dem Zins- 
groschen erscheint. Die Nebeniiguren allerdings lassen Carpaccio's 
Vorliebe für genrehafte Motive erkennen, das Kolorit aber ist von 
jener tiefen Leuchtkraft, welche Bellinfs letzte Werke auszeichnet. Zu 
den Schöpfungen der späteren Zeit gehört dann noch der Petrus Martyr 
in der Nationalgalerie zu London, weniger durch die etwas wunder- 
lichen Figuren als durch den Zauber einer hochpoetischen Landschaft
	        
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