IX. Kapitel.
Die
Schule
Venedig.
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hart ist ein todter Christus im Museum zu Berlin, Nr. 6, in einer
ligurenreicheren Composition, vielleicht für Bellini selbst zu bunt und
roh, während dagegen ebendort die Pieta mit Maria und Johannes
durch den weichen, tiefen Farbenton und edleren Ausdruck eine fort-
geschrittene Stufe des Meisters bezeichnet. Zu den schönsten Werken
dieser Art gehört trotz einzelner starker Üebermalungen das Bild in
der Galerie zu Stuttgart, welches den todten Heiland in starker an
Mantegna erinnernder Verkürzung im Schooss der Schmerzensmutter
zeigt, die in tiefer Bekümmerniss ihm ins Antlitz schaut, um sich zum
letzten Mal die geliebten Züge einzupragen. Nicodemus und Joseph
von Arimathia bilden energische Gegensätze zu den edlen Gestalten
der in Thranen aufgelösten Magdalena und des jugendschönen Johannes,
in welchen zum ersten Mal das venezianische Schönheitsideal strahlend
hervorleuchtet. Auch die technische Behandlung in kräftigen Oelfarben
bezeichnet den Umschwung in eine neue Epoche.
Aehnliche Entwicklungen lassen sich an einem andren, ebenfalls
öfter wiederholten Thema, der Beschneidung Christi, nachweisen, wel-
ches bisweilen zu einer Darstellung im Tempel wurde und zu den-
jenigen Compositionen gehört, die durch BellinYs zahlreiche Schule
immer von Neuem nachgeahmt wurden. So eine Tafel, welche aus
der Galerie Orleans in die Sammlung von Castle Howard gelangt
ist und bereits der Epoche angehört, in welcher Bellini von dem neuen
Bindemittel Gebrauch machte. Wiederholungen findet man u. A. im
Palazzo Doria zu Rom, in der Galerie Leuchtenberg zu Petersburg,
der Galerie Czernin zu Wien. Die Beschneidung in der zweiten
Chorkapelle l. von S. Zaccaria zu Venedig, mild im Ton und anziehend
im Ausdruck, scheint eher auf die Hand Biss0lo's zu deuten. Ein arg
zu Grunde gerichtetes Bild der Darstellung im Tempel sieht man im
Belvedere zu Wien, jedenfalls ein frühes Werk, das noch eine gewisse
Befangenheit verrath. Auch im Museum zu Berlin lindct sich unter
Nr. 36 eine Wiederholung dieser Composition.
Sein eigentliches Gebiet betritt aber der Meister erst in den Dar-
stellungen der Madonna, für welche er unermüdlich in seinem langen
Leben stets von Neuem seine volle künstlerische Kraft eingesetzt hat.
Kein Thema ist daher so geeignet, ihn im ganzen Umfange seiner
Leistungsfähigkeit erkennen zu lassen. Beginnen wir mit jenen ein-
fachsten Werken, welche die Madonna mit dem Kinde in Halbiigur
vorführen, offenbar bloss für die Hausandacht bestimmt und daher von
einem intimercn Charakter, als die feierlich thronenden Madonnen der