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Buch.
Die Frührenaissance.
Carpaccio geben genugsam Zeugniss von der mehr genrehaften als
historischen Auffassung dieser Schule. S0 wirkte denn Alles zusammen,
um der venezianischen Malerei in genauem Ausdruck der politischen
Passivität der Bevölkerung das Verharren in rein lyrischen Stimmungen
aufzunöthigen. Als höchste Leistung derselben entwickelte sich nun,
unter den geschilderten Einflüssen der paduanischen Kunst, zu einer
neuen Stufe das Andachtsbild.
Der erste Künstler, an welchem wir diesen Ümgestaltungsprozess
gewahren, ist Bartolonz-nzeo Vivarini. Aus der Schule von Murano
hervorgegangen, hatte er sich zuerst (vgl. S. 218) bei den Arbeiten
seines älteren Bruders Antonio, in dessen Werkstatt er ohne Zweifel
sich ausgebildet, als Gehülfe betheiligt. Aber sein energischer Geist
strebte über die Schranken einer conventionellen Kunst hinaus, und
das Beispiel Mantegnzxfs, das er in längerem Aufenthalte zu Padua an
sich erfahren haben muss, bewirkte in ihm eine Steigerung seiner
künstlerischen Kräfte, die wir mit einer Reihe von Arbeiten belegen
können. Noch sehr mangelhaft, obgleich in sichtlicher Bemühung um
plastische Durchführung, tritt dies selbständige Streben an dem lebens-
grossen Bildniss des Johannes Capistranus im Mus. Nap. III. des
Louvre hervor, das man schwerlich dem Bartolommeo zuschreiben
würde, trüge es nicht seine Bezeichnung "Opus Bartolomei Viarini
de Murano 1459." Aehnliche Strenge der Behandlung verräth das
dreitheilige Altarbild vom Jahr 1462 in S. M. Formosa zu Venedig,
das in der Mitte eine Madonna della Misericordia enthält, die unter
ihrem Mantel die zu ihr Flehenden schützt. Ungleich bedeutender
erscheint der Künstler auf einem Altarstück vom Jahr 1464, Welches
aus der Certosa bei Venedig in die Sammlung der Akademie gelangt
ist. Es giebt in alterthümlicher Anordnung die thronende Madonna
mit vier Heiligen, herb in der Formbehandlung, aber von grossartig
feierlichem Eindruck, in dem energischen Streben nach plastischer
Durchbildung von den Paduanern abhängig. Aus dem folgenden Jahre
1465 datirt das mächtige Altarbild des Museo zu Neapel (Fig. 148),
abermals die thronende Madonna mit Heiligen darstellend, voll treuher-
ziger Innigkeit des Ausdrucks. Hier erkennt man in den gedrungenen
Gestalten mit den fast grimmigen Köpfen, in der scharf bestimmten
Zeichnung, wie der Künstler mit aller Anstrengung sein ganzes Kön-
nen einsetzt; die Madonna in ihrer vornehmen Würde und die Engel
mit den Fruchtkränzen erinnern an Mantegna's Altartafel in S. Zeno
zu Verona, und das lieblich auf ihrem Schoosse schlummernde