502
Buch.
Frührenaissance.
mung ist noch völlig gothisch, und zeigt die Fialen und die mit Laub-
"werk besetzten Spitzgiebel der italienischen Spätgothik; daneben aber
kennt der Meister auch schon die Formen der Renaissance, wie man
an dem Thron der Madonna und an mehreren architektonischen Hinter-
gründen bemerkt. Auf dem Mittelfelde sieht man die Madonna thro-
nend, auf ihrem Schoosse das Christuskind schlafend, welches sie mit
dem Schleier zu verhüllen im Begriff ist; daneben auf gesonderten
Feldern die h. Laurentius und Amelius, Albinus und Amicus. In
diesen Gestalten verräth sich ein befangenes Lebensgefühl und Mangel
an tieferer Naturerkenntniss; aber ähnlich der gleichzeitigen nordischen
Kunst sucht der Maler durch prachtvolle Ausführung und prunkenden
Brokat und Damast der Gewänder das Auge zu bestechen.
Für die ältere Zeit sind nun überhaupt in diesen Grenzgebieten
die Einiiüsse der nördlichen Länder massgebend gewesen. Im Museo
civico zu Turin sieht man eine Anzahl werthvoller Üeberreste der
Plastik und Malerei aus den Gegenden von Aosta, Elfenbeinwerke,
Triptychen, Antependien, holzgeschnitzte Altäre mit Gold- und Farben-
überzug, die in der That stark an deutsche und zum Theil an franzö-
sische Werke anklingen. Die Gemälde des 15. Jahrhunderts sogar
haben noch überwiegend mittelalterliches Gepräge und verrathen eine
Lokalkunst, die weit hinter der Entwicklung Italiens zurückgeblieben
ist. So zeigt sich auch in der Galerie zu Turin ein aus sechzehn
Theilen bestehendes Triptychon auf Goldgrund, inschriftlich das Werk
eines Priesters Giovanni (nPresbiter Johä Canaäsis") noch als ein
durchaus in conventionell gothischer Kunstweise befangenes Werk,
dessen mässig begabter Urheber mühsam nach kräftigerer Durchbildung
der Formen ringt. Auf Künstler dieser Art mag Barnaba da Modena
eingewirkt haben, von dem wir wissen, dass er längere Zeit in Pie-
mont beschäftigt war.
Solchen geringfügigen und schwankenden Bestrebungen setzte
dann erst im Ausgang des 15. Jahrhunderts der mächtige Realismus
der Paduaner ein Ziel, der selbst in diesen entlegenen Gebieten einen
tüchtigen Vertreter fand. Dies ist Macrino d'Alba, wie er wahrschein-
lich von seinem Geburtsort genannt wird, eigentlich de Alladio. Wir
wissen nichts von seinen Lehrjahren, da aber sein frühestes bekanntes
Werk 1496 für die Certosa von Pavia gearbeitet ist, so dürfen wir
wohl annehmen, dass er in Mailand die Arbeiten eines Foppa kennen
gelernt und vielleicht seine Unterweisung genossen habe. In dem
Streben nach scharfer plastischer Ausprägung der Form folgt er den