Kapitel.
VIII.
Die 10mbardisch-piemontesischen
Schulen.
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benachbarte Vaterstadt Crema. Fortan vergisst er auf seinen Bildern
nicht, sich als Bürger von Brescia zu bezeichnen. So auf dem grossen
fast quadratischen Altarwerk in der zweiten Kapelle links im Dom,
welches er 1519 für ein Honorar von 29 Dukaten ausgeführt hat. Man
sieht den h. Sebastian, an den Pfeiler einer Halle gebunden, eine
milde, fein bewegte Gestalt, die durchaus an venezianische Kunst, noch
näher an Werke Moretto's erinnert. Neben ihm in auffallend heftiger
Bewegung der h. Christoph mit dem ebenfalls lebhaft agirenden Christus-
kind auf der Schulter; gegenüber der jugendliche S. Rochus in ele-
gantem, phantastischem Zeitkostüm, von einem Hunde begleitet, der
einen Laib Brod im Maule halt. Den Hintergrund bildet eine Land-
schaft mit tief grünlichblauein Himmel. Das ganze Werk steht in
den weichen Formen, dem fast schwärmerischen Ausdruck, besonders
dem tiefen Farbenaccord grünlichblauer Himmel, grünliche und
dunkelviolette Gewänder dem Moretto auffallend nahe, der damals
freilich erst in den Anfängen stand und seinen eignen Stil noch nicht
entwickelt hatte. Es scheint allerdings vielfach gelitten zu haben;
immerhin aber beweist es, dass Civerchio den freieren Stil des 16. Jahr-
hunderts, vermuthlich durch Berührung mit der venezianischen Kunst,
sich angeeignet hat. Das letzte sichere Datum seines Lebens fällt in
das Jahr 1539.
Es ist nun von Interesse zu beobachten, wie verwandte Einflüsse
sich noch weiter westwärts bis in die Schulen von Piemont fort-
setzen, obwohl sie naturgemäss bei immer grösserer Entfernung vom
Ausgangspunkte dieses Stiles an Kraft und Verständniss einbüssen.
Wie es in so entlegenen Grenzgebieten nicht anders sein kann, bleibt
auch hier in Piemont die Malerei bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts
ohne selbständige Bedeutung. Man hat mehrfach Künstler aus Tos-
cana und der Lombardei berufen, und von solchen wird zuerst die
Kunstweise der neuen Zeit dort eingebürgert worden sein. So malte
1458 ein Meister Paolo da Brescia, der sich „Paulus Brisiensis" nennt,
ein fünftheiliges Altarbild für die Kirche S. Lorenzo in Mortara, wel-
ches in dem Turiner Galeriewerk auf T. 142 dargestellt ist. Wir
haben das Bild weder in der Galerie noch im Katalog entdecken
können, vermögen also über die Farbe und die technische Ausführung
nicht zu urtheilen; allein der offenbar treue und charakteristische Stich
im genannten Galeriewerke deutet auf einen Künstler, welcher in der
scharfen Bezeichnung der Formen den Paduanern verwandt ist und
in den Charakteren an Crivelli erinnert. Die Einfassung und Umrah-