Kapitel.
VIII.
Die
lombardisch-piemontesisehen
Schulen.
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tektur in paduanischem Stile umfasst; die oberen Heiligen stehen
hinter einem prächtigen Goldgitter. Zu dem allen kommt noch eine
Predella Imit der Geburt Christi, der Kreuzigung, Auferstehung und
den vier Kirchenvätern. Die Gestalten zeigen durchweg eine herbe
Strenge, ein entschiedenes Streben nach scharfer Modellirung und
Charakteristik; die Karnation verräth, besonders in den mittleren Bil-
dern, durch die grauen Töne und die trüben Schatten eine Arbeit,
die man wohl auf Zenale beziehen darf. Die Madonna ist nicht hübsch,
vielmehr etwas gleichgültig und spiessbürgerlich, das Kind leidlich;
allerliebst aber sind die sechs Engel, zwei oben schwebend, zwei sich
angelegentlich zu ihr wendend, als wollten sie ihre Herrin unterhalten,
die untersten beiden zu ihren Füssen musicirend. Der h. Martin auf
seinem etwas hölzernen Schimmel erscheint ziemlich steif, aber der
nackte Bettler, der mit flehender Greberde zu ihm aufblickt, ist recht
gut bewegt und energisch gezeichnet. Die Seitentafeln zeigen im
Ganzen einen etwas wärmeren Ton und dürften daher am ersten auf
Buttinone deuten. Einige der weiblichen Heiligen haben eine gewisse
vornehme Hoheit, die man am ersten Zenale zutrauen möchte; auch
die männlichen Gestalten sind in ihrer scharfen Charakteristik recht
tüchtig. Die Predellenbilder dagegen verrathen eine flüchtigere Be-
handlung. Im Ganzen hat man es hier offenbar mit einem der bedeu-
tendsten Werke der alten lombardischen Schule zu thun. Die
ebenfalls von beiden Künstlern gemeinsam ausgeführten sehr ver-
blichenen Fresken in der Kapelle des linken Querschiffs von S. P ietro
in Gessate sind kaum zu erkennen, dürfen daher ausser Betracht
bleiben.
Eine geringere Begabung verräth Giov. Donato Montorfano, von
Welchem man ein wohlerhaltenes grosses Freskobild der Kreuzigung
im Refektorium von S. Maria delle Grazie, gegenüber dem Abend-
mahl Lionardds, sieht. Das figurenreiehe Gemälde trägt den Namen
des Künstlers und das Datum 1495. Es giebt uns einen werthvollen
Beleg von dem Zustande der lombardischen Malerei vor dem Auftreten
Lionardds. Denn die Kunstweise dieses grossen Meisters hat auf
Montorfano noch keinen Einfluss geübt. Er ist ein alterthümlieh
befangener Künstler, der indess die realistischen Tendenzen in seiner
Weise aufgenommen und nach Kräften sich angeeignet hat. Die Com-
position leidet an der Ueberladung, welche der älteren Kunst eigen
ist; der Leichnam Christi zeugt von geringer anatomischer Kenntniss;
überall tritt ein mühsames Ringen nach dramatischem Ausdruck hervor;