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Die Frührenaissance.
Sonderung und Unterscheidung ihrer Arbeiten einige Schwierigkeiten.
Für Zendle zunächst ist das mit dem Namen des Künstlers versehene
Bild einer Madonna in der Galerie zu Bergamebezeichnend. Sie
sitzt in einer Rosenlaube, ihrem Kinde die Brust gebend, auf hübschem
landschaftlich-architektonischem Hintergründe, und lässt trotz starker
Restauration sowohl in den Formen, wie in dem eigenthümlich grauen
Fleischton deutlich den Einfluss Borgognonds erkennen. Verwandten
Charakter trägt eine Reihenfolge von Tafeln in einzelnen Gestalten
von Heiligen, welche aus der Kirche Sta. Maria delle Grazie in Ber-
gamo nach Mailand in die Brera gekommen sind. Sie gehörten zu
einem Altarwerk, dessen Mittelbild, die thronende Madonna mit vier
Engeln, sich ebenfalls in der Brera befindet. Es sind tüchtig gezeich-
nete, würdevolle Gestalten von sehlankem Bau, feierlicher Ernst liegt
in den Köpfen, die Madonna ist nicht eben anmuthig, ebcnsowenig die
Engel; der Farbenton ist trüb mit schmutzig grauen Schatten, die
Gewänder mit den scharf gebrochenen Falten erinnern an die padua-
nische Schule. Ungleich bedeutender indess ist ebendort das grosse
Altarbild Nr. 449, welches die Madonna auf dem Throne, umgeben
von den vier Kirchenvätern und verehrt von Lodovico Sforza, seiner
Gemahlin Beatrice und zwei Kindern darstellt. Auch hier ist das
Fleisch überaus trübe in der Farbe, mit dunklen schmutzig grauen
Schatten, das Blau der Gewänder auffallend hell wie bei Borgognone;
auch die häufige Anwendung von Goldschmuck erinnert an die ältere
Schule. Aber die Köpfe sind ungemein bedeutend, energisch modellirt,
namentlich die Bildnisse von lebensvoller Charakteristik, meisterhaft
besonders die naiven Kindergesichtchen. Dies Alles, sowie der Typus
der Madonna und die Art wie sie sich nach vorn überneigt, erinnert
entschieden an Lionardo. Während also die technische Ausführung
und die koloristische Behandlung den früheren Werken Zenale's ent-
spricht, wird man die Abweichungen von denselben auf den Einfluss
Lionardo's zurückführen dürfen, ohne genöthigt zu sein, dem Meister
dies bedeutende Werk abzusprechen.
In der That muss Lionardo irgendwie bei diesem Werke be-
theiligt sein, denn die Naturstudie zu dem einen der Kinder, Maximilian
Sforza, siehtman in der Ambrosiana. Dass Zenale zu dem grossen
Meister in freundschaftlichen Beziehungen stand, ist bezeugt. Lionardo
soll sogar, da er mit dem Christuskopfe in seinem berühmten Abend-
mahl unzufrieden war, sich Trost und Beruhigung bei Zenale geholt
haben, der damals ebenfalls für S. Maria delle Grazie arbeitete. Eine