464
Buch.
Die IPrührenaissance.
Pieta derselben Galerie zeigt den Leichnam Christi ganz von vorn in
kühnster Verkürzung, so dass die Fusssohlen fast unmittelbar an das
Gesicht stossen, von dem man nichts erblickt als die Untersicht von
Nase und Kinn, Ein erstaunliches Kunststück der Perspektive das
indess durch die Grimassen der heulenden Frauen nicht geniessbarer
wird. Offenbar hatte der Künstler dieses grossartig hässliche Werk
nur zu seinem eignen Studium gemalt, denn es befand sich bei seinem
Tode noch in der Werkstatt.
Es mag bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen werden, dass
die Pieta, d. h. der von den Seinigen betrauerte todtc Christus ein
Thema ist, welchem die ilorentinische Kunst meist aus dem Wege geht,
während die Schulen Oberitaliens und Umbriens in ihrem treuen Fest-
halten an den kirchlichen Traditionen dasselbe ungemein häufig be-
handeln. Aus derselben Frühzeit datirt die Madonna im Museum zu
Berlin (Nr, 27). Sie sitzt mit ihrem Kinde auf einem von prach-
tigem Fruchtgehänge bekränzten und von Engeln mit den Marterwerk-
zeugen eingefassten blauen Felde. Trocken im Ton der Malerei, scharf
in der plastischen Durchbildung, bezeugt das Werk in dem mühsamen
Streben nach Verkürzung die Jugendzeit des Künstlers. Aehnliches
gilt von der Darstellung des Christuskindes im Tempel, ebendort Nr. 29,
ebenfalls auf- dunklem Grunde, sehr trüb und grau in der Farbe bei
gediegenster Zeichnung. Das herrliche Bild derselben Galerie, welches
den todten Erlöser, von zwei ausdrucksvollen Engeln betrauert dar-
stellt, ist neuerdings nicht ohne Grund dem Mantegna abgesprochen
worden. Aus dem Jahre 1454 datirt ferner die edle h. Euphemia im
Museum zu Neapel, ein Werk von plastischer Strenge und Feierlich-
keit. Wahrscheinlich war der Künstler damals zugleich mit den Fresken
der Eremitanikapelle beschäftigt. Durch seinen Anschluss an Donatello
und mehr noch an Jacopo Bellini scheint Mantegna sich mit seinem
Lehrer und Pflegevater überworfen zu haben; zudem wuchs der Ruhm
des jungen Künstlers so schnell, dass schon 1456 der Markgraf Lodo-
vico Gonzaga ihn unter annehmbaren Bedingungen für Mantua zu
gewinnen suchte. Ausser Vergütung der Umzugskosten wurden ihm
freie Wohnung, Korn, Brennholz und 15 Dukaten monatlich zugesagt.
Doch verzögerte sich die Üebersiedlung noch um einige Jahre, weil
er nicht bloss für Padua beschäftigt war, sondern auch für den Hoch-
altar von S. Zeno zuVer0na ein grosses Altarstück versprochen hatte.
Dieses Werk, welches 1797 von den Franzosen entführt wurde, später
wieder an seine ursprüngliche Stelle gelangte, bildet den Abschluss