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Die Frührenaissaxlce.
sich nach Florenz, wo die grossen Schöpfungen Masaccids auf ihn
mächtig einwirkten und er in lebendigem Wetteifer mit seinen Alters-
genossen Botticelli und Ghirlandajo seine Kunst immer mehr von
umbrischer Einseitigkeit befreite. Dennoch war die schwärmerische
Empfindungsweise seiner Heimath ihm so tief eingepflanzt, dass sie_
stets den Grundzug seiner Schöpfungen ausmacht. Unter den Floren-
tinern ist es nach dieser Richtung Fiesole, dem er sich am meisten
verwandt fühlte, nur dass bei Perugino ein stärkerer ekstatischer Zug
hervortritt, der sich zugleich mit einer vollkommneren Durchbildung
der Gestalten verbindet. Gegenüber dem fast herben Ernst, der
männlichen Strenge, dem energischen und selbst unschönen Realismus
von Meistern wie Castagno und Ghirlandajo führt die umbrische Grund-
lage bei Pietro zu weicher Anmuth und seelenvoller Schönheit, die
sich in den milden Köpfen mit ihrem entzückten Aufblick oder dem
träumerischen Versunkensein, in den weich hingegossenen Stellungen
und den melodisch fliessenden Gewandfalten deutlich ausspricht. Be-
sonders im Andachtsbilde bringt er diesen engen Kreis von Stimmungen
immer wieder zum Ausdruck, oft mit einer hinreissenden Wahrheit
und Innigkeit der Empfindung. Aber da. diese Themata immer von
Neuem verlangt Wurden und einer gewissen Durchschnittslinie des reli-
giösen Gefühls vorzüglich entsprachen, so fiel Perugino bei gesteigerten
Bestellungen einer leidigen Bequemlichkeit anheim und hielt es nicht
unter seiner künstlerischen Würde, dieselben Typen, Motive, Ausdrucks-
weisen, Stellungen, ja ganze Compositionen ziemlich gedankenlos zu
wiederholen. Es giebt daher keinen unter den grossen Künstlern jener
Zeit, der sich mit einer so engen Auswahl conventioneller Formen
begnügt, und bei dem das ursprünglich tief Empfundene so schnell zu
äusserlicher Schablone wird. Der Werth solcher Dutzendschöpfungen
wird dann noch dadurch beeinträchtigt, dass er einer grossen Zahl von
Gehülfen sich bediente, um allen Bestellungen gerecht zu werden.
Trotz alledem ist seinen meisten Werken ein nicht geringer Reiz eigen,
der mit darauf beruht, dass diese weiche Gefihlsseeligkeit in einer
F arbentechnik ihren Ausdruck findet, deren unvergleichlicher Schmelz
der unmittelbare Ausfluss dieser Empfindung zu sein scheint. Denn
obwohl zuerst in der Temperatechnik aufgewachsen, eignete sich Peru-
gino in der Werkstatt Verrocchids, wo er wahrscheinlich mit Lionardo
zusammentraf, die Vortheile der Oelmalerei an, die er zu einer Klar-
heit, Kraft und Harmonie entfaltete, wie sie die meist etwas zum
Bunten neigenden Florentiner nicht kannten, den einzigen Lorenzo di