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I1. Buch.
Die Frührenaissance.
der wackre Künstler in herzlicher Wärme der Empfindung, aber stets
mit einem Anfluge alterthümlicher Befangenheit behandelt. Doch be-
weist er durch das Streben nach plastischer Ausbildung der Form,
durch die tüchtigen perspektivischen und architektonischen Kenntnisse,
dass er ein nicht unwürdiger Zeitgenosse des Piero della Francesca war.
Zu seinen frühesten Werken gehört das Fresko in der Kapelle
der angesehenen Patrizierfamilie Tiranni zu Cagli, in S. Domenico,
vom Jahre 1481. Es stellt nach einer besonders bei den Umbriern
beliebten Auffassung den Heiland mit dem Qberkörper aus dem Grabe
aufragend dar, von den Heiligen Hieronymus und Bonaventura verehrt.
Die Unvollkommenheiten der Zeichnung und des Kolorits werden durch
den rührenden Ausdruck der Trauer aufgewogen. In einer andern
Kapelle derselben Kirche sieht man eine thronende Madonna zwischen
Franziskus und Petrus, Johannes dem Täufer und Thomas von Aquino;
darüber die Auferstehung Christi, der inmitten der schlafenden Wächter
nnit der Siegesfahne hervorschreitet. Am Gewölbe der segnende Gott-
vater, von anbetenden und rnusizirenden Engeln umschwebt. Umbrische
Gefühlswärme kreuzt sich hier mit einer gewissen Scharfe der Form-
bezeichnung, die an Melozzo erinnert. Einen Grad höher entwickelt
zeigt sich die Kunst des Meisters in dem grossen Altarbilde der thro-
nenden Madonna mit Macarius, Helena, Sebastian und Rochus in Sta.
Croce zu Fano, bezeichnet mit dem Namen „Johanes Santis". Hier
namentlich tritt nicht bloss in der Oeltechnik, sondern meln' noch in
dem weichen gemüthvollen Ausdruck der Köpfe und in dem edlen
Gewandwurf ein entschiedener Einliuss Peruginds hervor. Die Reinheit
der Empfindung hat etwas von dem Seelenadel, der nachher in Rafael
seine zarteste Blüthe hervortreiben sollte. Minder ansprechend, wenn-
gleich ebenfalls von tüchtiger Durchbildung, ist die Heimsuchung in
Sta. Maria Nuova, gleich jenem Werke mit dem Namen des Künst-
lers bezeichnet. Eine werthvolle Arbeit ist sodann die thronende
Madonna mit Johannes und Michael, Stephanus und Sophia in der
Kirche zu Gradara bei Pesaro, mit dem Namen des Künstlers und
der Jahreszahl 1484. Leider ist das Bild nicht ohne Beschädigungen
geblieben. Ein schönes Votivgemälde führte er sodann 1489 im Auf-
trage Gaspare Buf{i's für dessen Kapelle in S. Francesco zu Urbino
aus, jetzt in der städtischen Galerie. (Fig. 126.) Neben der Madonna
stehen Johannes der Täufer und S. Franziskus, Hieronymus und Se-
bastian. Vor ihnen kniet der Stifter sammt seiner Gemahlin und ihrem
kleinen Sprössling. Die Anmuth der Madonna, die würdevolle Charak-