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Buch.
F rührenaissance.
Die
dass diese schnöde Leidenschaft dem treff liehen Meister unbekannt war,
der seine Kunstgenossen liebte und jedem gern mit Rath und That
willfährig war. Von trefflichen Sitten, zeigte er sich offen und liebe-
voll gegen seine Freunde, mild und freundlich in der Unterhaltung
mit Jedermann. Er liebte an sich eine gewählte Sorgfalt der Erschei-
nung, kleidete sich immer in Seide und lebte mehr wie ein Edelmann
als wie ein Künstler. Als er einst in hohem Alter in Arezzo ein Bild
von seiner Hand aufgestellt hatte und heimkehrte, wurde er von vielen
Mitbürgern, Freunden und Verwandten festlich nach Hause geleitet,
zum Beweise der allgemeinen Verehrung, die dem Künstler und Men-
schen zu Theil ward. Seine hohe Gesinnung bewies er, als ihm einst
ein Sohn in der Bliithe der Jahre getödtet wurde, den er sehr geliebt
hatte. „'In tiefem Schmerz liess er ihn entkleiden, und mit grösster
Seelenstärke, ohne eine Thrane zu vergiessen, malte er ein Bildniss
des Entschlafenen, um so oft er wollte durch seiner Hände Arbeit Das
zu schauen, was die Natur ihm verliehen, ein feindliches Geschick
aber geraubt hatteff Man sieht hier recht, wie selbst im Schmerz
des Verlustes die begeisterte Freude an der Menschengestalt einem
damaligen Künstler zum Kultus werden konnte.
Eine grosse Anzahl von Altarwerken Signorellfs ist noch jetzt in
Kirchen und Galerieen vorhanden und beweist, wie er auch auf diesem
beschränkten Gebiete mit der freien Grösse eines Ghirlandajo wett-
eifert. Doch behält seine Farbe fast immer etwas Raubes, Schatten und
Lichtpartieen ermangeln meistens der versehmelzenden Uebergangstöne.
Ümbrische Gefühlsweiche und Formenanmuth in den Köpfen der Ma-
donna und der jugendlichen Heiligen hindert nicht, dass im übrigen
die Wahl der Form und der Typen manchmal derb und unedel ist,
und dass die Körper, namentlich die Hände, unverhältnissmässig gross
und schwer erscheinen. Am mächtigsten durch grossartigen Aufbau
und durch die verhaltene Glut eines innerlich bewegten Lebens sind
seine thronenden Madonnen mit Heiligen. So das grosse Altarbild in
der Seitenkapelle am rechten Querschiff des Doms zu Perugia. Die
mütterlich huldvolle Madonna hält ihr liebliches Kind auf dem Schoosse,
das mit ihrem Gebetbuch spielt. Neben ihr auf den erhöhten Stufen
des Thrones Johannes der Täufer und Laurentius, der erstere voll
Inbrunst, der andere in vornehmer Haltung; weiter unten die mäch-
tigen Gestalten des h. Onofrius und Herculanus, am Fusse des Thrones
ein nackter Engelknabe auf der Laute spielend. Das Ganze herb und
grossartig, in derber Zeichnung und Modellirung, mit scharfen Schatten