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Buch
Frührenaissance.
Die
stark an Mantegna erinnert, nicht ohne Grossartigkeit, aber etwas starr
und unbelebt, von scharfer Formbezeichnung und strenger Durchfüh-
rung, in der Energie der ungebrochnen Farbe durch graue Halbtöne
abgedämpft. Eine Kreuzigung in den Ufiizien zu Florenz Nr. 1015
scheint aus der mittleren Zeit des Künstlers.
Nach dieser im Ganzen doch alterthümlich befangenen Kunst-
weisc erfrischt doppelt das Bild eines jener grossen schöpferischen
Meister, welche im breiten Strome des künstlerischen Lebens mit voller
Energie die Gedanken ihrer Zeit zum Ausdruck bringen. Luca Signorelli
von Cortona, um 1441 etwa geboren und bis zu seinem Tode 1523 in
reicher künstlerischer Thätigkeit wirkend, gehört ohne Frage zu den
kühnsten und gewaltigsten Künstlergenien jener herrlichen Zeit. Im
gross aufgebauten und doch frei bewegten Altarbilde stellt er sich als
Geistesgenossen Ghirlandajds hin; nicht minder erfolgreich wetteifert
er in weiträumigen Fresken mit den bedeutendsten Florentinern. Feier-
licher Ernst, wunderbar verschmolzen mit leidenschaftlicher innerer
Bewegtheit, die nicht selten fast stürmisch die Schranken zu durch-
brechen sucht, zeichnen seine grössten Schöpfungen aus. Besonders
aber fesselt ihn das anatomische Studium der menschlichen Gestalt,
die er in den feinsten Gesetzen des organischen Lebens belauscht und
mit genialer Kühnheit in jeder Art von Stellung und Bewegung, in
den schwierigsten Verkürzungen vor Augen stellt. Diesen promethei-
sehen Schöpfungsdrang hat keiner der Gleichzeitigen in ähnlicher Stärke
empfunden; erst Michelangelo trat in seine Fusstapfen und vollendete
im grössten Stil das von Signorelli Begonnene.
Mit dieser Kühnheit der Zeichnung und Formgebung steht die
malerische Entwicklung bei ihm keineswegs auf gleicher Höhe. Die
herbe Gewaltsamkeit seines Geistes scheint es nicht zu einer Ver-
schmelzung der Töne kommen zu lassen. In grellen Gegensätzen zu-
meist treten die einzelnen Farben nebeneinander; die scharfen Lichter
heben sich unvermittelt von schweren Schattenmassen ab, die im Fleisch
ein undurchsichtiges Braun zeigen, die herbe Grösse der Formen mit
plastischer Gewalt hervordrängend. Neben diesen Elementen einer
durchaus männlichen, fast nur auf das Heroische gerichteten Kunst
überraschen dann um so mehr gewisse Züge seelenvoller Anmuth, mit
der er seine Madonnen, jugendliche Heilige und vor Allem seine Engel
ausstattet. Darin erkennen wir wieder das Erbtheil umbrischer Ge-
fühlswärme, dem auch die männliche Grösse Signorellfs sich nicht zu
entziehen vermag. Endlich gehört zu den Zügen seines Charakterbildes