Kapitel.
Umbrisch-toskanische
Schule.
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einem Buche vorlesen. Noch drei Personen sitzen dabei, Während drei
andre eben eintreten. Der Herzog hat hier offenbar eine jener beliebten
Scenen seines Privatlebens darstellen lassen, wo er mit seinen Höf-
lingen sich an der Vorlesung eines antiken Schriftstellers erbaute.
Auch hier erkennt man in der breiten Behandlung und der meister-
haften Perspektive die Hand Melozzo's.
Noch ein interessantes Werk, theilweise in der Nationalgalerie
zu London, zum Theil im Museum zu Berlin, liefert den Beweis,
dass Melozzo für Herzog Federigo thatig-war. Das Stück in Berlin,
dort unter Nr. 54 und dem Namen Bramantino, bildet den mittleren
Theil des Ganzen. Es zeigt auf einem Thron eine allegorische Figur,
die einem Knieenden mit den Insignien des Herzogs von Urbino ein
Buch überreicht: von bedeutendem Ausdruck, saftig und breit be?
handelt in tiefem Ton und grossen Massen; ganz herrlich in breitem
Wurf _wirkt der rothe Mantel. Daran reihen sich die beiden Seiten-
stücke in London Nr. 755 und 756, welche die Rhetorik sowie die
Musik ebenfalls thronend darstellen, deren jede einem vor ihr Knieenden
ein Buch übergiebt, wobei die Musik noch auf eine kleine Orgel hin-
weist. Diese Arbeiten gehören wegen ihres breiten, freien Stiles in
die spätere Zeit des Meisters und mögen sämmtlich nicht lange vor
dem Tode Herzog Federigds (1482) entstanden seinw
Was sonst noch auf Melozzo zurückgeführt wird, hat keinen
Anspruch auf seinen Namen. Als er 1494 starb, hinterliess er als
seinen künstlerischen Nachfolger den Marco Palmezzavzo, der durch
seine zahlreichen Werke sich als sein Schüler und Erbe zu erkennen
giebt. Marco scheint 1456 in Forli geboren zu sein und lebte bis
1537, unablässig in einer grossen Reihe meist mit seinem Namen be-
zeichneter Bilder die ältere noch gebundene Kunstweise bis tief in's
16. Jahrhundert fortführend. Er beginnt mit denselben kühnen per-
spektivischen Darstellungen, in welchen Melozzo sich hervorgethan
hatte und führt sich in mehreren seiner früheren Werke dadurch ein,
dass er den Namen seines Meisters dem seinigen hinzufügt. Einige
dieser Arbeiten hat man dem Melozzo selbst zuschreiben wollen, so
namentlich die Fresken in einer Kapelle der Kirche S. Girolamo zu
Forli. Hier ist in einer meisterlich gezeichneten Kuppelarchitektur eine
Reihe von sitzenden Figuren in kühner Verkürzung dargestellt, ähnlich
wie Mantegna dergleichen im herzoglichen Palast zu Mantua ausgeführt
hat. Auch die dabei angewendeten Kinderfiguren sind ganz im Geiste
lllantegnas. Eine auffallende Schärfen und Härte in den Gestalten
Lübke, Italien. Malerei. I. 26