Kapitel.
Epoche.
Altchristliche
Schon in dem zuletzt erwähnten Wandgemälde beweist die bedeutsame
Gestalt Christi den vollzogenen Umschwung in die historische Auf-
fassung, während die Nebenscenen noch völlig den symbolisch andeu-
tenden Charakter der früheren Zeit verrathen. Es ist also ein Werk,
das den Uebcrgang von der älteren zur neueren Auffassung bezeichnet.
d Ver allem Wunschte man nun .wo möglich ein historisches Bild
es Erlosers. Schon in fruheren Zeiten hatten manche fromme G6-
müthei- dies sehr begreifliche Verlangen getragen. Constantins Schwester
Constantia drückte gegen den Bischof Eusebius von Caesarea den
Wunsch aus, ein Bildniss Christi zu besitzen; Gemälde und Selbst
Statuen Christi kannte man damals schon, allein in der Kirche gab es
immer noch bedeutende Autoritäten, Welche sich Solchen Darstellungen
widersetzten. Wichtig war es jedoch, dass seit dem Ausgang des
vierten Jahrhunderts die frühere extrem ascetische Auffassung von der
hässlichen Knechtsgestalt des Erlösers in das Gegentheil umschlug,
und dass man den Heiland nicht bloss als den reinsten, sondern auch
als den schönsten der Menschen hinstcllte. Eine bestimmte Tradition
aber von der Wirklichen Erscheinung des Herrn gab es nicht; doch
ist die spätere Legende von dem Könige Abgarus von Edessa, welchem
Christus sein in ein linnenes Tuch abgedrücktes Bild geschickt habe,
ebenso die Legende vom Bildniss Christi im Schweisstueh der Vcronika,
ein Zeugniss von dem immer stärker hervortretenden Verlangen nach
einem Portrait des Herrn. Dieses findet dann seinen Ausdruck in dem
iingirtcn Briefe des Lentulus, eines angeblichen Vorgängers des Pilatus
in der Landpiiegcrschaft Judads, in welchem Gestalt und Zügc Christi
ungefähr so festgestellt werden, wie die altchristliche Kunst dieselben
gicbt. Er schildert Christus als einen Mann von stattlicher Erschei-
nung, das etwas gekrauselte dunkle Haar, nach nazarenischer Sitte in
der Mitte gescheitclt, lang über beide Schultern herabfliessend, die
Stirn rein und klar, das faltenlose Antlitz von gefälliger Bildung und
massig gefärbt, Nase und Mund untadelig, der volle aber nicht lange
blonde Bart in der Mitte getheilt, die Augen von hellem Glanz. Es
ist das Idealbild Christi, wie es im Lauf des fünften Jahrhunderts,
vielleicht schon seit dem Ausgang des vierten, sich immer bestimmter
ausprägt, die erste und zugleich bedeutendste christliche Gestalt von
selbständiger Erfindung. (Fig. 6.) Denn was bis dahin geschaffen War,
wie die jugendlichen Figuren des guten Hirten, die Madonna, die
Apostclköpfcwßveicht nicht von dem Typus antiker Gestalten, von
jugendlichen Hirten, Matronen oder Philosophen ab. Selbst die Bronze-