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Die Frührenaissance.
keit der Erfindung, doch durch Wahrheit des Gefühls und Treuherzig-
keit des Ausdrucks zu adeln. Manche seiner Motive und Gestalten
erinnern an die religiöse Innigkeit Peruginds, und einzelne Köpfe in
seinen früheren Bildern haben etwas von der strahlenden Jugendherr-
liehkeit der Werke Lionardds, dessen Madonnentypus der ersten Epoche
sich manchmal bei Lorenzo wiederiindet. Im Uebrigen steht er auf
der Basis dessen, was Fra Filippo zuerst für die freiere Umgestaltung
des Andachtsbildes geschaffen hat; namentlich schildert er gern nach
dem Vorgange jenes Meisters die Geburt Christi so, dass das Neu-
geborne am Boden liegt, das Händchen nach Kinderart an den Mund
druckend, von der Mutter sowie von den Hirten verehrt. Seine Christus-
kinder gehören zu den anmuthigsten derartigen Schöpfungen der Zeit,
obwohl sie durch die sehr derben Formen und den gar zu kurzen
Hals auffallen.
Ein Hauptbeispiel dieser Art ist die ligurenreiche Anbetung der
Hirten in der Akademie zu Florenz (Galerie der grossen Gemälde
Nr. 51), ursprünglich für das Nonnenkloster der h. Clara gemalt. Es
wird durch besondere Schönheit und Innigkeit der Gestalten und durch
eine nicht ganz mühelos erreichte Symmetrie der Anordnung, beson-
ders aber durch die emailartige Lasur des Farbenauftrags, den feinen
Piirsichduft der Fleischtöne als ein Jugendwerk bezeichnet. Das am
Boden liegende Christuskind bildet die Mitte der Gruppe, von der
Madonna verehrt, welcher gegenüber ein ebenfalls knieender Hirt an-
gebracht ist. Die Madonna wird von zwei knieenden und zwei hinter
ihr stehenden Engeln wie von einem himmlischen Hofstaat umgeben.
Daneben steht vorn, auf seinen Stab gestützt und in sich versunken,
der h. Joseph, eine an Peruginds Gestalten erinnernde Figur; ihm
gegenüber auf der andern Seite ein anmuthiger jugendlicher Hirt, der
ein Lamm auf den Armen halt. Er blickt ziemlich ausdruckslos, ohne
irgend an dem Vorgang Theilnahme zu zeigen, aus dem Bilde heraus
und verrath sich als blosse Füllligur, der nichts anderes obliegt, als
die Symmetrie herzustellen. Der andere Hirt hinter ihm breitet vor
Verwunderung die Hände aus, ein ebenfalls ziemlich verbrauchtes Motiv.
Am meisten Innigkeit verrath der alte Hirt, welcher mit gefalteten
Händen das Kind anbetet. Auffallend-sind schon hier bei der Madonna
und den übrigen Figuren die sehr schweren, feisten Hände mit den
dicken Handgelenken; ihr Kopf zeigt ebenfalls etwas breite Formen,
verräth aber in der Reinheit der Empfindung und der idealen Anmuth
der Züge gleich den Köpfen der Engel und des jungen Hirten Ein-