Kapitel.
Schule.
florentiner
Zweite
Generation.
343
sich das Studium antiker Gewandfiguren verräth. Von grosser Schön-
heit und Wirkung ist wieder der architektonische Grund, der Apsis
und Presbyterium einer Renaissancekirche darstellt, mit antiken Relief-
scenen von Kämpfen u. dgl. reich geschmückt. Aber die grösste
Bedeutung erhält diese Composition durch die prachtvollen Porträt-
gruppen der Tornabuoni und ihrer Verwandtschaft sammt anderen
Zeitgenossen, welche den Vordergrund zu beiden Seiten anfüllen. Und
hier zeigt sich, wie in allen Theilen dieSer meisterhaften Composition
die hohe Künstlerkraft, welche die architektonische Symmetrie zu freier
malerischer Schönheit auflöst. Denn auf der einen Seite stehen in
dichtgedrängter Gruppe vier Zuschauer auf der oberen Stufe des
Altarraums, während auf der andern fünf in zwei Reihen vertheilte
Männer eben zu den Stufen heranschreiten. Der Künstler lässt uns
aber hier noch drei, drüben noch vier Halbfiguren sehen, die wir uns
auf dem tieferliegenden Plan der Kirche zu denken haben. Rechts
erblickt man dann in der äusseren Ecke noch fünf männliche Gestalten,
denen links etwas Weiter zurück vier Jungfrauen entsprechen. Keine
Frage, dass der biblische Vorgang durch diese Nebeniiguren zur Neben-
sache wird, aber es geschieht in einem Sinne, der das scheinbar
Alltägliche zu geschichtlicher Bedeutsamkeit erhebt, und die Gesetze
historischer Composition, rhythmisch freier und doch architektonisch
gebundener Anordnung sind hier schon zur höchsten Stufe entwickelt.
Die Darstellung enthält denn auch die Widmungsinschrift mit der
Jahrzahl 1490 und rühmt die Macht und Sieghaftigkeit, Wohlstand,
Gedeihen und Frieden der Stadt und ihre Blüthe in Künsten und
öffentlichen Denkmalen.
Die Heimsuchung lässt der Künstler auf einer hochgelegenen
Terrasse vor sich gehen, zu Welcher aus der tiefer liegenden Stadt
eine breite Rampenstiege hinaufführt. In der Landschaft begegnen
uns wieder die baumktlchenartigen Felsen, die mit der sonstigen natura-
listischen Durchführung seltsam contrastiren. Die beiden Frauen, von
einem edlen Gefolge schöner Jungfrauen und würdiger Matronen
begleitet, haben nichts von der religiösen Innigkeit, mit welcher ein
Giotto oder Fiesole solche Scenen schildern, wohl aber liegt vornehme
Noblesse und Sittsamkeit wie ein Hauch jener edlen Kultur des da-
maligen Florenz über dem Ganzen. Die etwas steife junge Dame im
Brokatgewande, nach Vasari die Ginevra Benci, ist ohne Zweifel ein
Mitglied der Familie Tornabuoni. Die Geburt des Johannes (Fig. 196)
ist wieder eine jener zeitgeschichtlichen Schilderungen, an denen die