Volltext: Geschichte der Italienischen Malerei vom vierten bis ins sechzehnte Jahrhundert (Bd. 1)

III. Kapitel. 
Schule. 
Die florentiner 
Generation. 
Zweite 
335 
WVege steht, und man die Existenzfahigkeit all dieser Menschen, Bauten 
und Bäume auf demselben Plane anzuzweifeln sich versucht fühlt, so 
empfindet man bei Ghirlandajo ein klares, stark ausgesprochenes Raum- 
gefühl, eine weise Berechnung im Vertreten, Zurückweichen und Ab- 
stufen der Pläne, so dass man nicht als Zuschauer, sondern als Theil- 
nehmer sich mitten in den Vorgang versetzt wähnt. Dies, ist der 
grosse Unterschied zwischen beiden, dies das Geheimniss der zwingenden 
Macht in den Kompositionen des Meisters, während wir bei Benozzo 
draussen stehende Zuschauer bleiben, die nach aufgezogenem Vorhange 
erstaunt sind über all die bunten Wunderdinge, welche man auf der 
Schaubühne vor ihren Augen abspielt. 
Aehnliche Unterschiede nimmt man wahr, wenn man in's Ein- 
zelne weiter eindringt. Auch bei Ghirlandajo ist der Einfluss der 
Plastik seiner Zeit unverkennbar, aber während sich derselbe bei 
Benozzo vielfach in einer scharfen Härte zeigt, der die freie Elasticität 
der Bewegung abgeht, verräth sie sich bei Ghirlandajo durch die 
kraftvolle Breite der Formen, durch schwungvolle Grösse des Falten- 
stils, der fast nichts von den kleinlichcn, brüchigen Manieren der 
meisten Zeitgenossen hat, vielmehr die Formen und Bewegungen der 
Körper deutlich markirt. Auch seine Gestalten sind oft wie aus Bronze 
gegossen, aber sie sind nicht erstarrt, sondern erfüllt von einem 
flüssigen Leben, beseelt von einer Kraft der Empfindung, die aus dem 
Innersten quillt und sie mit höchster Lebenswahrheit durchhaucht. In 
all diesen Dingen, in der Würde der Männer und Greise, in der An- 
muth der Frauen und Jungfrauen, in der Lieblichkeit der Kinder ist 
er der Geisteserbe Giotto's und Masaccids, der das von jenen Be- 
gonnene und Fortgeführte zu weiterer Entwicklung bringt und die 
höchste durch. Rafael bevorstehende Vollendung vorbereitet. Dabei 
herrscht zugleich eine koloristischc Durchbildung in seinen Werken, 
die eine Verbindung der klaren, lichten Töne Fra Filippds mit der 
energischen Modellirung Masaccids erkennen lässt, in den Wand- 
gemalden durch hohe Vollendung des Fresk0's, in den Tafelbildern 
durch Festhalten der Temperamalerei bewirkt. Endlich gehört es zu 
den grossen Verdiensten Ghirlandajds, dass er auch die architektonische 
Einfassung seiner Fresken mit einem System ornamentirter Pilaster, 
Friese und Gesimse reicher und edler als irgend ein Vorgänger durch- 
geführt und auch darin den Geist der Frührenaissance zur vollen Herr- 
schaft gebracht hat. 
Ghirlandajo scheint ziemlich spät als selbständiger Künstler auf-
	        
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