III. Kapitel.
Schule.
Die florentiner
Generation.
Zweite
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WVege steht, und man die Existenzfahigkeit all dieser Menschen, Bauten
und Bäume auf demselben Plane anzuzweifeln sich versucht fühlt, so
empfindet man bei Ghirlandajo ein klares, stark ausgesprochenes Raum-
gefühl, eine weise Berechnung im Vertreten, Zurückweichen und Ab-
stufen der Pläne, so dass man nicht als Zuschauer, sondern als Theil-
nehmer sich mitten in den Vorgang versetzt wähnt. Dies, ist der
grosse Unterschied zwischen beiden, dies das Geheimniss der zwingenden
Macht in den Kompositionen des Meisters, während wir bei Benozzo
draussen stehende Zuschauer bleiben, die nach aufgezogenem Vorhange
erstaunt sind über all die bunten Wunderdinge, welche man auf der
Schaubühne vor ihren Augen abspielt.
Aehnliche Unterschiede nimmt man wahr, wenn man in's Ein-
zelne weiter eindringt. Auch bei Ghirlandajo ist der Einfluss der
Plastik seiner Zeit unverkennbar, aber während sich derselbe bei
Benozzo vielfach in einer scharfen Härte zeigt, der die freie Elasticität
der Bewegung abgeht, verräth sie sich bei Ghirlandajo durch die
kraftvolle Breite der Formen, durch schwungvolle Grösse des Falten-
stils, der fast nichts von den kleinlichcn, brüchigen Manieren der
meisten Zeitgenossen hat, vielmehr die Formen und Bewegungen der
Körper deutlich markirt. Auch seine Gestalten sind oft wie aus Bronze
gegossen, aber sie sind nicht erstarrt, sondern erfüllt von einem
flüssigen Leben, beseelt von einer Kraft der Empfindung, die aus dem
Innersten quillt und sie mit höchster Lebenswahrheit durchhaucht. In
all diesen Dingen, in der Würde der Männer und Greise, in der An-
muth der Frauen und Jungfrauen, in der Lieblichkeit der Kinder ist
er der Geisteserbe Giotto's und Masaccids, der das von jenen Be-
gonnene und Fortgeführte zu weiterer Entwicklung bringt und die
höchste durch. Rafael bevorstehende Vollendung vorbereitet. Dabei
herrscht zugleich eine koloristischc Durchbildung in seinen Werken,
die eine Verbindung der klaren, lichten Töne Fra Filippds mit der
energischen Modellirung Masaccids erkennen lässt, in den Wand-
gemalden durch hohe Vollendung des Fresk0's, in den Tafelbildern
durch Festhalten der Temperamalerei bewirkt. Endlich gehört es zu
den grossen Verdiensten Ghirlandajds, dass er auch die architektonische
Einfassung seiner Fresken mit einem System ornamentirter Pilaster,
Friese und Gesimse reicher und edler als irgend ein Vorgänger durch-
geführt und auch darin den Geist der Frührenaissance zur vollen Herr-
schaft gebracht hat.
Ghirlandajo scheint ziemlich spät als selbständiger Künstler auf-