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Buch,
Frührenaissance.
die Enthauptung des Täufers, die Ueberbringung des Hauptes an
Salome, die es knieend dem erschrockenen Herodes darreicht. Üeberall
erfreut uns die volle Frische in der Schilderung der Vorgänge, Reich-
thum lebensvoller Gestalten, Pracht der Kostüme, besonders in der
zierlichen Tracht der Frauen mit den gefalteten Schleiern und köst-
lichen Geschmeiden und glänzende Ausstattung der architektonischen
Umgebung. Hier ist die Vollendung dessen, was Giotto mit noch
unzureichenden Mitteln angestrebt hat; hier ist der weiteren Entwick-
lung der Horentiner Kunst der Weg vorgezeichnet.
An der linken Seite beginnt die Geschichte des h. Stephanus
wiederum mit der beliebten Wochenstube; man sieht die Scene, wie
ein grauenhaftes Unthier den Knaben in der Wiege durch ein anderes
Kind zu vertauschen sucht. Dann giebt das Üngethüm ihn gegen das
Geschenk eines Rehes wieder heraus. Weiter sieht man, wie der
h. Stephanus zum Diakonen geweiht wird, eine Handlung voll feier-
licher Würde. Sodann folgt die Heilung eines Besessenen und die
Predigt des Stephanus. In der unteren Reihe ist die Steinigung des
Heiligen und sodann seine feierliche Beisetzung dargestellt. Die letztere
Scene ist eine der bedeutendsten der ganzen Reihenfolge; von ergrei-
fender Wahrheit, wie er ausgestreckt im Mittelschiff einer Kirche da-
liegt, von zwei grossartigen klagenden Frauen betrauert, die zu Häupten
und zu Füssen der Bahre knieen, auf beiden Seiten celebrirende Geist-
lichkeit und zuschauende Männer und Jünglinge, prächtige Porträt-
gestalten voll Würde, die am meisten von dem Mark eines Masaccio
haben. Hier liest man auch den Namen des Künstlers „FRATER
FILIPPVS", der auf eine solche Leistung mit Recht stolz sein durfte.
Ein zweites grosses Freskowerk hat Fra Filippo am Ende seines
Lebens ausgeführt, als er nach Spoleto berufen wurde, um in der
Apsis des Domes Darstellungen zur Verherrlichung der Madonna zu
malen. Die Hauptscene ist die Krönung der Jungfrau, in welcher die
feierliche Anordnung und die reiche Schönheit der umgebenden Engel-
chöre wieder an'die Auffassung Fies0le's erinnern. (Fig. 97.) Nach
unten schliesst die Darstellung mit einem Schleier ab, der die Sonne
und die Gestirne enthüllt. Darunter in drei Abtheilungen das Leben
der Madonna: die Verkündigung, die Geburt Christi, ihr Tod und ihre
Verklärung, leider sehn zerstört, aber voll Adel und Schönheit im
zartesten Stile des Meisters, der sich dabei in seinem Alter ebenso
jugendlich rein und edel erweist, wie in seinen frühesten Werken:
gewiss das stärkste Zeugniss von dem Adel seiner Künstlernatur.