Kapitel.
florentiner
Die
Schule.
Generation.
Erste
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über solche Dinge geurtheilt wurde. Es scheint aber müssig, noch
heute mit sittlicher Entrüstung über Fra Filippo herzufa11en_ Bekannt-
lieh war die Sittenlosigkeit damals nicht bloss in Italien, sondern in
der ganzen Welt und namentlich auch in Deutschland in den meisten
Klöstern offenkundig, nur dass die übrigen geistlichen Sünder nicht so
schöne Bilder gemalt haben wie Fra Filippo. Wegen dieser einen
allerdings schweren und nicht zu entschuldigenden Vergebung aus
unserm Carmelitermönch einen rohen Wüstling machen zu wollen,
dürfte um so ungerechtfertigter sein, wenn wir seine Kunstwerke zu
Zeugen aufrufen. Lieblicher und zarter, jungfräulicher und holdseliger
hat kaum ein andrer Maler das Mutterglück geschildert. Er ist darin
der Vorläufer RafaePs. Seine Madonnen athmen nicht jene himmlische
Reinheit und Seligkeit, wie die Fra Angelico's, aber sie sind erfüllt
von dem rein menschlichen Glück des Muttergefühls. Es sind die
ersten Madonnen in der Kunstgeschichte, welche das Feierliche, Re-
präsentative der Himmelskönigin, das auch bei Fiesole noch die Grund-
lage bildet, abstreifen und die schönste und reinste der menschlichen
Empfindungen ohne kirchliche Nebenbeziehung aussprechen. Sie zuerst
geben die Verklärung des rein Menschlichen, und desshalb haben sie
auch nicht mehr die ideale Bildung des Kopfes, wie bei Fiesole und
selbst bei Masolino und Masaccio, sondern sie geben das bestimmte
Bild eines individuellen durchaus porträtmässigen Frauenkopfes, der
mit den zarten, bisweilen sogar dürftigen Formen, dem kleinen Kinn,
der hohen, breiten, gelegentlich etwas leeren Stirn durchaus keinem
idealen Schönheitstypus entspricht, aber durch die Innigkeit und Herz-
lichkeit der Empfindung uns rührt und fesselt. Er zuerst führt die
Madonna dann auch nicht bloss feierlich thronend, von einem Hofstaat
von Engeln und Heiligen verehrt vor, sondern er lässt sie uns in ihrem
intimen häuslichen Leben belauschen,'wie sie mit dem Kinde kost, es
an sich drückt und ganz in Mutterwonne sich verliert. Solche Bilder,
für die er dann die durchaus private Form des runden Medaillons
erfindet, sind offenbar für die Hausandacht gemalt und stehen den
grossen gegliederten Altarwerken als eine besondere Gattung gegenüber.
Dazu kommt das klare, sonnige Kolorit, rosig angehaucht und zart
verschmolzen, dazu ferner die mehr malerische als plastische Durch-
bildung der Gestalten, die nichts von der grossartigen Wucht Masaccio's
haben, sondern mehr der Behandlung Fiesole's entsprechen.
Gleich eins seiner frühesten Bilder zeigt die Sinnesweise Fra
Filipprfs schon in voller Ausprägung. Es ist die jetzt im Museum zu