Kapitel.
florentiner
Die
Schule.
Generation.
Erste
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genau um dieselbe Zeit seine mächtigen Werke schuf, mit denen er
ebenfalls für ein Jahrhundert jede Entwicklung gleichsam vorweg ge-
nommen hat. Masaecids Geburt fällt in den Ausgang des Jahres
1401; 1421 wurde er in die Gilde aufgenommen, 1424 trat er in die
Bruderschaft des h. Lucas, 1429 Scheint er bereits gestorben zu sein.
Er lebte mit seiner Mutter und einem jüngeren Bruder zusammen und
gab, als 1427 eine allgemeine Aufnahme des Vermögensstandes anbe-
fohlen wurde, sein Tageseinkommen auf 6 Soldi an, bekannte sich
dagegen nicht bloss zu einer bedeutenden Schuldenlast, sondern hatte
auch verschiedene Effekten versetzt. Selbst sein Gehülfe hatte bei ihm
ein Guthaben von 6 Gulden. Einer seiner Gläubiger erklärt 1430,
dass er an Masaccio noch 68 Gulden zu fordern habe, die er indess
aufgeben müsse, weil sein Schuldner nach Rom gegangen und dort
gestorben sei.
Angesichts dieser betrübenden Einblicke in seine äussere Lage
begreifen wir VasarYs Wort, dass Masaccio sich wenig um sich, noch
Weniger um Anderes Sorge gemacht habe. Sein ganzes Sinnen und
Trachten gehörte nur der Kunst, die er mit so grossem Geiste auf-
fasste, dass seit Giotto kein so hoher Genius mehr erstanden war.
Wie jener giebt auch er in seinen Compositionen nur das Nothwendige,
dies aber mit solcher machtvollen Gewalt der Erscheinung, dass alles
Andre vor, neben und nach ihm dagegen klein erscheint und erst
Michelangelo und Rafael die Kunst wieder zu gleicher Höhe empor
führen und noch freier zu entwickeln vermochten. Seine Gestalten,
voll Würde und Hoheit, sind die Vollendung dessen, was Giotto be-
gonnen hatte. Er verleiht ihnen aus dem tiefsten Studium des menscl1-
liehen Organismus jene freie Würde, jene plastische Durchbildung und
smalerische Vollendung, Welche das Ziel des 15. Jahrhunderts war. In
Bewegung und Stellung, in Ausdruck und Gebärden, in scharfer Be-
stimmtheit und würdevoller Schönheit der Köpfe, in der lebensvollen,
Form und Bewegung bezeichnenden Durchbildung der Gewänder, giebt
er nicht bloss eine aus dem Naturalismus der Zeit fliessende vollkom-
mene Freiheit, sondern zugleich eine von grosser Gesinnung erfüllte
männliche Schönheit. Mit der vollen Beherrschung der perspectivischen
Gesetze stellt er seine Gestalten in eine landschaftliche und architek-
tonische Umgebung hinein, welche wie eine harmonische Begleitung
die Melodie seiner Figuren umklingt, aber nirgends sich vorlaut auf.
drängt. Bei ihm ist keine Spur jener liebenswürdigen Üeberladung,
mit welcher die meisten nachfolgenden Künstler in jugendlicher