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Buch.
Die
Frührenaissance.
starke Anklänge an den giottesken Stil. Freier und lebensvoller ge-
staltet sich die Auffassungiin den Scenen aus dem Leben des Täufers.
In einem Warmen goldigen Kolorit gehalten, von liebevoller Sorgfalt
der Durchführung, deren Feinheit auffallend von der breiteren, keckeren
Behandlung der Wandgemälde in der Collegiata absticht, lassen sie
nur leise Anklänge an den früheren Stil erkennen, dringen vielmehr
fast überall zu bedeutsamer Charakteristik und lebensvoller individueller
Schönheit durch. Im Ganzen stehen sie zwischen den Gemälden von
S. Clemente und den sogleich zu betrachtenden älteren Bildern der
Cappella Brancacci; mit den ersteren verbindet sie dasselbe Gefühl für
Anmuth, mit den letzteren das Streben nach markigeren Formen und
bedeutsamen Charakteren. Wie lebensvoll sind überall die Bewegungen,
wie gross ist die Freiheit in Darstellung des Nackten bei der Taufe
Christi, wo nicht bloss die edle Gestalt des Erlösers, sondern mehrere
Figuren, die mit An- oder Auskleiden beschäftigt sind, die Scene
auf's Mannigfaltigste beleben. Wie kühn ist bei der Hinrichtung die
Stellung des Henkers, sowie die des Wächters; welche Jugendschön-
heit in den weiblichen Köpfchen, besonders beim Gastmahl; wie köst-
lieh die Herodias, die in ihrem geblümten Kleide und der hohen mit
der Krone bedeckten Haube so still und ruhig dasitzt! Lebendig ist
auch der Ausdruck des Entsetzens in den beiden Diener-innen im Con-
trast mit der gemüthlichen Ruhe, in welcher Salome das abgesehlagene
Haupt überreicht. Lebensvolle Zeitfiguren sind sodann Herodes mit
seiner Umgebung; sein Nachbar zur Linken mit dem langen Schnurr-
bart ist kein Italiener, sondern ein Studienkopf aus der ungarischen
Zeit des Meisters. Dagegen sind die Begleiter Sal0me's ächte italie-
nische Hofleute in der Stutzertracht der damaligen Zeit. Dass die
sämmtlichen Fresken in Castiglione grosse stilistische Verschiedenheiten
zeigen und als Werke eines einzigen Meisters grosse Schwierigkeiten
für die Erklärung des Entwicklungsganges bieten, ist nicht zu leugnen;
das letzte Wort über diese Werke dürfte noch nicht gesprochen sein.
Von Masolino erfahren wir nur noch, dass er 1447 gestorben ist und
im Dom zu Florenz begraben wurde.
Üngleich wichtiger und bedeutungsvoller ist sein Namensvetter
Masaccio, der als einer der grössten unter den Bahnbrechern jener
Zeit dasteht und in kürzester Lebenszeit künstlerische Werke geschaffen
hat, die der gesammten Entwicklung ein Jahrhundert lang nur ein
Wachsen in die Breite, nicht in die Tiefe übrig liessen. Er steht
darin dem grossen Hubert van Eyck ebenbürtig und verwandt da, der