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Buch.
Frührenaissance.
Die
Üeberaus geistreich ist die Reihenfolge von 35 kleinen Tafeln,
welche ehemals den Schrein für die heiligen Geräthe in der Annunziata
schmückten, jetzt in der Sammlung der Akademie. Es sind Werke,
die noch den Grundcharakter giottesker Kunst verrathen, meisterlich
componirt, lebendig erzählt, leicht und geistreich ausgeführt. Ebendort
sieht man sodann eine Kreuzabnahme, ehemals in Sta. Trinita, eine
ergreifende Composition, von grosser Feinheit der Zeichnung und edlem
Ausdruck, aber auffallend bunt und unharmonisch in der Farbe. Von
sonstigen Tafelbildern Fra Angelicds verdienen noch Erwähnung zwei
köstliche Engel in der Galerie zu Turin, eine thronende Madonna
mit zwölf schönen singenden Engeln im StädeYschen Institut zu Frank-
furt, voll anmuthiger Bewegung, eine andre thronende Madonna mit
St. Dominicus und Petrus martyr im Museum zu Berlin, wo auch
zwei kleine anziehende Bilder aus dem Leben des h. Franziskus; sodann
ein treffliches Bild in der Akademie zu Antwerpen, den h. Ambrosius
darstellend, wie er dem Kaiser Theodosius den Eintritt in die Kirche
verweigert, weil dieser die Stadt Thessalonich zerstört hatte.
Gegen das Ende seines Lebens schuf Fra Giovanni noch zwei
bedeutende Cyclen von Fresken, in welchen sich die Kraft des Künst-
lers eher- gesteigert als abnehmend zeigt. Im Jahre 1447 verpflichtete
er sich nämlich gegen ein Jahresgeld von 209 Golddukaten, freie Kost
und Wohnung jährlich vom Juni bis September vier Monate lang die
Cappella nuova des Doms zu Orvieto mit Freskenpzu schmücken.
Man lieferte ihm ausserdem die Farben und das Gerüst und besoldete
neben zwei untergeordneten Gehülfen auch seinen Schüler Benozzo
Gozzoli mit einem monatlichen Gehalt von sieben Dukaten. Fra Ange-
lico malte nur einen Sommer lang daselbst und brachte in dieser Zeit
die Fresken des über dem Altar sich erhebenden südlichen Kreuz-
gewölbes fertig. An der ersten Gewölbkappe stellte er den Weltrichter
dar in kreisförmigem Medaillen, in der Linken die Weltkugel, die
Rechte abwehrend erhoben, umgeben von schönen Engelchören, unter
ihm Engel in die Posaunen des Gerichtes stossend. Das zweite Feld
enthält eine ganze Schaar von Propheten, herrliche Gestalten voll Hoheit,
wunderbar übereinander aufgebaut. (Fig. 82.) An dem dritten sieht
man die Madonna, umgeben von den Aposteln, den Kirchenlehrern und
den Stiftern des Bettelordens, ebenfalls von hoher Schönheit, trotz
mancher Restauration unverkennbar in der ihm allein eignen geläuterten
Ausdrucksweise. Erst Signorelli sollte später diesen Cyclus fortsetzen
und vollenden.