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Die Frührenaissance.
als geschichtlich dramatischen Charakter dieser Kunst bezeichnen, als
diese rein ideale Umgebung von Heiligengestalten. In den Köpfen herrscht
Innigkeit des Ausdrucks in mannigfacher Abstufung, verbunden mit einer
individuellen Ausprägung, die indess, mit Ausnahme des Abtes in der
rechten Ecke, nichts von dem Portratmässigen der gleichzeitigen floren-
tiner Kunst, sondern mehr etwas Allgemeines, Typisches im Charakter
Giott0's hat. Nur die grössere Naturwahrheit in der Durchbildung verräth
das 15. Jahrhundert. Dasselbe gilt von den Medaillons mit Brustbildern
von Heiligen, Welche sich als F ries unter dem Bilde hinziehen, ver-
knüpft durch eine Schnur, welche der in der Mitte angebrachte S. D0-
minicus in Händen hält. Das einfassende Bogenband mit Ornamenten
zwischen Brustbildern von Propheten und Sibyllen schliesst sich eben-
falls noch dem Charakter der giottesken Kunst an. Bezeichnend endlich
ist, dass der Nimbus sämmtlicher Gestalten noch als runde Scheibe
ohne Rücksicht auf die perspektivische Stellung der Köpfe gegeben ist.
Eine einfachere Darstellung des Crucifixus mit dem verehrenden
heiligen Dominicus sieht man im ersten Kreuzgang; ein Werk, in
welchem besonders der Ausdruck des Gekreuzigten von wunderbarem
Adel der Empfindung ist. Nicht minder schön ist die Darstellung des
Heilands, der als Pilger von zwei Dominikanermönchen aufgenommen
wird, in einer Thürlünette des ersten Kreuzganges über der ehemaligen
Pilgerherberge (Fig. 79). Christus ist hier vielleicht der vollendetste
Typus des in edelste menschliche Gestalt verwandelten Gottessohnes,
die Begegnung mit den beiden Mönchen voll Innigkeit und Tiefe der
Empfindung. Üeber einer andern Thür sieht man die Gestalt des
Petrus martyr, mit dem Finger auf den Lippen an die Ordensregel
des Schweigens mahnend; endlich über der Thür 'des Refectoriums
die Halbfigur Christi mit den Wundmalen im milden Ausdruck der
Ergebung. '
In den Zellen iindet man sodann nicht weniger als zweiund-
zwanzig einzelne Fresken aus der Geschichte Christi und der Madonna,
sämmtlich von rührender Einfachheit und innig religiöser Empfindung,
einzelne unter ihnen in Auffassung und Behandlung der giottesken
Tradition noch sehr nahe stehend, andere durchgebildeter und freier,
mehr der Behandlung des 15. Jahrhunderts entsprechend, durch Ein-
iiüsse der grossen Formen Masaccios bedingt. Es möge genügen,
Einzelnes daraus kurz hervorzuheben. Die Verkündigung im oberen
Corridor ist überaus zart und lieblich, erhebt sich aber in Durchbildung
der Formen, im Typus der Köpfe, in der Behandlung der Gewänder