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Buch.
Die
Frührenaissance.
Antike. Auch seine landschaftlichen Umgebungen verrathen ein tieferes
Eingehen auf das Studium der Natur. Aber während viele seiner
Zeitgenossen irgend eine besondere Seite des künstlerischen Schaffens
in einseitiger Uebertreibung verfolgen, die einen die Gesetze perspek-
tivischer Verschiebung und Verkürzung, die andern das anatomische
Studium der Körper, wieder andre ihre Bilder mit den Prunkformen der
neuen Architektur und mit Nachbildungen antiker Skulptur schmücken,
hält er sich von allen diesen Aeusserlichkeiten frei, giebt überall nur
das Nothwendige und Wesentliche, und betrachtet als die einzige Auf-
gabe seiner Kunst die Schilderung der schönen Seele in schöner, von
der reinsten Empfindung gelauterter Form. Das Gewaltige, Heroische,
welches so oft in den Schöpfungen jener Zeit mit herber Kraft her-
vortritt, ist nicht seine Sache. Seine Sphäre bleibt vielmehr das Ge-
biet sanfter und zarter Empfindungen, sei es, dass er die stille Selig-
keit der Engel und Auserwählten, oder den wehmüthigen Schmerz bei
den Leidensscenen Christi schildert. Angespannte Thatkraft, leiden-
schaftliches Empfinden liegt ihm fern; auch wo er die Gestalten in
bewegtem Handeln vorführen muss, begleitet ein idyllischer Grundton
den ruhig epischen Gang der Erzählung und dämpft den dramatischen
Ausdruck. In der malerischen Behandlung erreicht er die höchste Voll-
kommenheit in den kleineren Tafelbildern, welche in ihrer klaren,
lichten Färbung und der sorgfältigen Feinheit des Farbenauftrags den
Eindruck kostbarer Miniaturen machen. In grösseren Tafelbildern
fehlt es meistens etwas an genügender Belebung und charaktervoller
Durchbildung der Form. Meisterhaft dagegen sind wieder seine Fresken,
in deren flüssigem, sicherem und freiem Auftrag die unmittelbare Wärme
der Empfindung sich unübertreiflich lebensvoll ausspricht. In seinen
Compositionen giebt er zum ersten Mal seit Giotto wieder das Beispiel
jener Einfachheit, der es durchaus nur auf das Wesentliche ankommt,
recht im Gegensatz zu den späteren Giottisten, die in den Figuren,
wie in den landschaftlichen und architektonischen Gründen nach einem
Reichthum gestrebt hatten, mit welchem doch ihre begrenzte Kennt-
niss der Natur nicht Schritt zu halten vermochte. S0 erhebt Fra
Giovanni in einer Zeit von überwiegend weltlichen Tendenzen die
Kunst wieder zu idealer Höhe und bildet den Gipfelpunkt der eigent-
lich religiösen Malerei. Seine Gemälde sind daher wie fromme
Hymnen, oder vielmehr wie stille Gebete eines einsamen, weltabge-
Schiedenen, nur nach Vereinigung mit Gott ringenden Gemüthes.
Unter seinen Fresken behaupten die etwa seit 1438 für das