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Buch.
Die Frührenaissance.
liehen Flügeln, die auf beiden Seiten bemalt wurden, geschlossen
werden konnten. Der obere Theil nahm dann meist die Form von
hohen gothischen Giebeln oder spitzbogigen Blenden an, welche wieder
mit besonderen Darstellungen geschmückt wurden. Nach unten stellte
man den vielgliedrigen Aufbau auf eine Staffel (Predella), welche
den Altar wirksam emporhob und ebenfalls Bilder erhielt. Diese reich
gegliederten Werke entsprachen dem Bedürfniss des Mittelalters nach
tiefsinnigen symbolischen Bezügen; das Einzelbild sollte nicht für sich
Bedeutung haben, sondern nur als Theil eines wohldurehdachten Ganzen.
Thronte also in der Mitteltafel, wie in der Regel der Fall war, die
Madonna, so gab man den Innen- und Aussenseiten der Flügel diejenigen
Heiligen, welche auf die betreffende Kirche oder den Stifter des Werkes
sich bezogen. In den Bogenfeldern oben erschien dann wohl Gottvater,
in den Seitenblenden etwa die Verkündigung und die Propheten; in
der Predella endlich Scenen aus dem Leben der Jungfrau oder der
begleitenden Heiligen.
Alles dies änderte sich nun. In demselben Maasse als das ein-
zelne Werk höhere Bedeutung für sich in Anspruch nahm, als das
künstlerische Element das symbolische verdrängte, strebte man noth-
wendig nach Vereinfachung. DerFlügelaltar kommt zwar immer noch
vor, aber mehr in den alterthümlich befangenen Schulen von Siena,
Ümbrien, Venedig; in Florenz räumt er der Einzeltafel bald das Feld.
Die Predella wird immer noch beibehalten und bietet einer stets noch
auf miniaturhafte Vollendung" ausgehenden Kunst erwünschte Gelegen-
heit, diese Neigung zu befriedigen. Vor Allem aber wird die Form
des gothischen Giebels und des Spitzbogens beseitigt, und an seine
Stelle tritt das halbkreisförmige Feld, die L ünett e, die mit der Haupt-
tafel eine Umrahmung in den Formen klassischer Architektur erhält.
Ehe wir diese völlige Umgestaltung der Kunst in's Auge fassen,
haben wir einen hochbedeutenden Künstler zu betrachten, der eine
Ausnahmsstellung einnimmt. Mit Bewusstsein hält er sich ausserhalb
des einseitigen Naturalismus der Zeit, deren Vorzüge und Errungen-
schaften er sich anzueignen weiss, ohne darum die ideale Schönheit
und die religiöse Stimmung des Mittelalters aufzugeben. Auf der
Grenzscheide zweier W eltalter stehend, weiss "er in unvergleichlicher